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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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uns und starrte auf ihren Schoß, und ich zog sie mit einer Hand zu uns heran. Sie brachte auch jetzt keine Kraft mehr auf zu weinen, aber sie drückte sich an uns, als sei sie ein kleines Kind und wir ihre Eltern, die nach langem Streit wieder zueinander gefunden hatten.
     
     
    2.
     
    K
    annst du dich an Antonio Pratini erinnern?«, fragte Jana eine lange Weile später. »Er ist der Schlüssel zu allem, was passiert ist.«
    Ich nickte. Wir saßen nebeneinander unter dem kleinen Lichtschacht. Nachdem Janas Gefühlssturm abgeflaut war, waren die anderen Gefangenen näher gekrochen und hatten versucht herauszufinden, wer ich war. Einige von ihnen beherrschten Latein, sodass ich mich verständlich machen konnte, und so gelang es mir auch, Piero Vespucci kennen zu lernen, einen alten Mann, der vor Schwäche und Angst gleichermaßen fieberte. Die Information, dass seine Tochter Ginevra fast jeden Tag vor dem Gefängnis gestanden und um seine Freilassung gebeten hatte, rührte ihn zu Tränen. Die meisten der anderen Insassen des Kerkers waren Schreiber, Notare oder kleinere Kaufleute; Jana und Vespucci waren die letzten prominenten Gefangenen, die noch nicht hingerichtet oder an den Folgen der Befragung gestorben waren. Dann hatten zwei Wächter einen Eimer und einen hölzernen Kübel hereingestellt und sich wahllos jemanden aus dem Kreis der Gefangenen herausgesucht, der den vollen Fäkalieneimer hinauszutragen hatte: ein mittelgroßer, kahlköpfiger Mann, der weder protestierte noch irgendeine Miene verzog, als er den schweren Eimer an seiner Kette aufhob und vor die Brust presste, um damit hinauszuwanken. Einige von Janas Leidensgenossen hatten sich noch halbwegs Kultur bewahrt und gaben Julia, die offenbar die einzige Dienstbotin war, ihre hölzernen oder tönernen Schüsseln, und diese füllte sie aus dem Eimer mit einer grauen, zähen Pampe. Die anderen krochen selbst hinzu und tauchten ihre Schüsseln unzeremoniell hinein. Es wäre nur anständig gewesen, auf den Unglücklichen zu warten, der den Fäkalienbehälter hinausgetragen hatte, aber als ich in den Essenseimer sah, war mir klar, dass für ihn noch genug übrig blieb. Der Holzkübel war voll klarem Wasser; eine Schöpfkelle war an ihm befestigt. Ich hatte keine Schüssel; Jana teilte ihre mit mir. Das Essen schmeckte grauenvoll, aber es war warm, und ich würgte ein paar Bissen hinunter, bis es mir widerstand. Die anderen, Jana und Julia eingeschlossen, schlürften den Inhalt ihrer Schüsseln ohne Begeisterung leer. Ich saß offensichtlich noch nicht lange genug hier, um den Wert einer warmen Mahlzeit zu schätzen, auch wenn sie aus Kutteln, Tierdärmen und Getreidebrei bestand.
    »Pratini plant das Geschäft seines Lebens«, erklärte Jana. »Er will eine große bottega errichten, eine Künstlerwerkstatt, die Fresken, Bilder, Plastiken, Schmuck und Kleidung gleichermaßen fertigt – alles, was schön ist. Und alles aus einer einzigen Werkstätte, in der Maler, Bildhauer, Goldschmiede und Schneider zusammenarbeiten. Der Markt dafür ist enorm; hast du dich umgesehen, wie sehr man hier in Florenz Schönheit und Kunstwerke schätzt? Und mehr noch als hier in Rom, das im Gegensatz zu Florenz bis auf wenige Ausnahmen eine stinkende Kloake sein muss, deren einflussreiche Bürger jedoch von gewaltigem Reichtum sind und die Allerreichsten von ihnen wiederum dem Klerus angehören. Sie alle miteinander halten geradezu fiebrig nach Kunst Ausschau, um der Hässlichkeit ihrer Stadt wenigstens im Detail Schönheit entgegensetzen zu können. Pratini hat gute Verbindungen nach Rom und bis in den Dunstkreis des Papstes hinein. Aufträge für die nächsten hundert Jahre sind ihm sicher.«
    Janas Augen blitzten, und sie lächelte triumphierend.
    »So ein Teufelskerl. Auf diese Idee muss man erst mal kommen. Wenn irgendein reicher Kardinal heute eine klassische Statue kopiert haben will, geht er zu einem Bildhauer. Für die Fresken an den Decken seines Wohnhauses benötigt er einen Maler, und wenn eine seiner Mätressen Schmuck verlangt, beauftragt er einen Goldschmied. Von allen dreien muss er sich erst die Arbeiten ansehen, damit er weiß, ob sie ihm gefallen, muss sich Referenzen einholen und mit ihnen verhandeln, muss vielleicht Geld auslegen für die Beschaffung von Marmor, Gold oder Farben, und dann muss er warten, ob sie seine Wünsche pünktlich erfüllen, und wenn einer von ihnen vor Beendigung des Auftrags erkrankt und stirbt, hat er nichts außer einem

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