Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
Vom Netzwerk:
halbfertigen Kunstwerk.«
    »Ich dachte immer, die Benachteiligten seien die Künstler«, sagte ich trocken.
    »Natürlich, die Nachteile sind auf beiden Seiten. Wie oft kommt es vor, dass ein Auftraggeber noch während der Arbeiten stirbt und die Erben die fertige Arbeit weder abnehmen noch bezahlen wollen. Oder dass der Auftraggeber das Kunstwerk dankend annimmt und dann niemals bezahlt – oder nur mit Hängen und Würgen und nach allen möglichen Abzügen. Dabei ist ein Künstler noch glücklich, wenn er überhaupt einen Auftrag erhält. Die meisten hungern und verdingen sich als Sklaven auf den Feldern oder in Steinbrüchen, um überleben zu können. Pratinis Idee bringt dagegen beiden Parteien nur Vorteile: Pratinis Werkstatt kann ihre Rohmaterialien günstiger beschaffen, weil sie größere Mengen kauft und eine gewisse Machtstellung auf dem Markt besitzt, sodass die Arbeiten für den Auftraggeber billiger werden. Braucht er mehrere verschiedene Dinge, so bekommt er trotzdem alles aus einer Hand und muss nur ein einziges Mal verhandeln. Wenn ein Künstler erkrankt und nicht weiterarbeiten kann, springt ein anderer für ihn ein und macht wenigstens die grobe Arbeit, sodass die Ausführung nicht so lange auf sich warten lässt. Gleichzeitig kann sich der Erkrankte besser erholen. Und wenn es ans Bezahlen geht und der Auftraggeber sträubt sich, so muss er viel eher fürchten, von der großen bottega vor Gericht zitiert zu werden als von einem kleinen Künstler, der weder Zeit noch Geld genug hat für Gerichtsstreitigkeiten, und wird deshalb bereitwilliger zahlen.«
    »Und du glaubst, für eine solche Idee finden sich genügend Künstler? Ich dachte, diese Menschen sind Einzelgänger und arbeiten nicht gerne mit anderen zusammen?«
    »In Florenz gibt es so etwas jetzt schon. Pratini hat die Idee nur konsequent weitergedacht. Besonders die Freskenmaler arbeiten in diesen botteghe zusammen, weil für einen allein der Auftrag, eine Kirche auszumalen, fast ein Lebenswerk bedeuten würde. Der Herr der bottega hat verschiedene Gesellen und lernt sogar Lehrlinge an, und wenn es an einen Auftrag geht, hat jeder seine Spezialaufgabe: Der eine rührt die Farben an, der andere den speziellen Mörtel, der für die Fresken benötigt wird; einer malt nur Hintergründe, einer nur Gesichter, einer nur den Faltenwurf der Gewänder. Die Gesellen arbeiten die Randfiguren aus, die Heiligen und die Zentralfiguren der Meister. Pratinis Plan beinhaltet nichts anderes, bis auf den Unterschied, dass in seiner Werkstatt nicht nur Maler, sondern Künstler aller Richtungen zusammenarbeiten.«
    Jana schüttelte den Kopf. »Die Idee liegt so nahe, aber das tun alle großen Ideen. Es kommt nur darauf an, weiter als alle anderen und auch verrückte Sachen zu Ende zu denken.«
    »Woher will Pratini seine Künstler rekrutieren?«, fragte ich und ahnte die Antwort bereits. Jana lächelte erneut und legte mir die Hand auf den Arm.
    »Eine weitere gute Idee! Er baut ein Findelhaus. Die Kinder dort werden ausgebildet, je nach ihrer Neigung, sodass sich aus ihren Reihen sowohl Künstler als auch Verwalter herausbilden, die nicht nur mit ihrem Verdienst, sondern vor allem mit ihrem ganzen Herzen an ihrer Werkstatt hängen, denn sie ist ihr Heim und ihre einzige Familie. Und je besser sie arbeiten, desto besser gestaltet sich auch ihr Schicksal und das ihres Hauses. Pratini hat bereits eine kleine Werkstatt in seinem Haus und bildet dort die ersten Waisenkinder aus. Mit ein bisschen Glück trägt sich die Werkstatt in fünf Jahren von allein, und Pratini spart sich nicht nur das Geld für die Stiftung, sondern fährt auch noch satte Gewinne ein und hat geschäftliche Verbindungen überall dorthin, wo sich eines seiner Kunstwerke befindet. Er wird nicht nur reich, sondern sein Haus sammelt auch ungeheure Macht an. Wenn er sich geschickt anstellt, wird der Name Pratini in einer Generation den Namen Medici ablösen.«
    Certosa Mea Culpa. Von welchen Quellen Jana ihre Informationen auch immer erfahren hatte, sie wusste nur die Hälfte; und Pratinis Motive, mochten sie auch von den Gedanken dominiert sein, die Jana soeben dargelegt hatte, waren weitaus vielschichtiger als Soll und Haben seiner Geschäftskonten. Den Tag, an dem seine Werkstatt in die Gewinnzone geriet, würde er voraussichtlich gar nicht mehr erleben. Nichtsdestotrotz hatte er den Erfolg seines Werks seit langem geplant; die Einrichtung der Werkstätte in seinem Garten zeugte ebenso davon wie

Weitere Kostenlose Bücher