Duell der Leidenschaft
konntest, oder der Gedanke, dass dich womöglich ein Mann gerettet hat, den er nicht ausstehen kann. Ehrlich gesagt, mir war vor meiner Ankunft nicht bewusst gewesen, dass er und Monsieur Wallace miteinander bekannt sind.«
»Sie sind sich zuvor nie begegnet«, antwortete Sonia und berichtete ihr mit so wenigen Worten wie möglich von der Verbindung zwischen den beiden.
Ihre Tante reagierte mit einem finsteren Gesichtsausdruck, beugte sich über das Bett, bis sie die Kordel zu fassen bekam, um die Glocke zu läuten.
»Was machst du da?«
»Du musst sofort baden und dich ankleiden. Es geht nicht, dass dein Verlobter dich so zerzaust zu Gesicht bekommt.«
Sonia drehte sich zum Fenster um. »Ich habe nichts anzuziehen.«
»Und ob du das hast, denn gleich nach meiner Ankunft bin ich einkaufen gegangen. Ich kenne deine Maße so gut wie meine eigenen, und für solche Notfälle gibt es immer anständige Kleidung.«
»Mir ist aber egal, wie er mich zu sehen bekommt.«
»Das darf es dir aber nicht sein, wirklich nicht! Kleidung ist wie eine Rüstung, das habe ich dir schon mal gesagt. Eine Frau, die sich hinter Walfischknochen und vielen Lagen von Unterröcken verbarrikadiert, ist eine andere als eine Frau, die unter einem schlichten Überwurf nackt ist.«
»Du findest, ich brauche eine Rüstung?«
»Davon bin ich überzeugt. Ich wollte es dir nicht sagen, aber ...«
Sonias Herz machte einen Satz, als sie den ängstlichen
Gesichtsausdruck ihrer Tante bemerkte. »Was wolltest du mir nicht sagen?«
»Ich glaube, Monsieur Rouillard hat große Angst vor deinem Monsieur Wallace. Wenn ihm etwas zugestoßen ist, dann ist Monsieur Rouillard der Grund dafür. Ich hörte ihn zu Monsieur Tremont sagen, jemand müsse unbedingt aufgehalten werden, aber zu der Zeit hatte ich keine Ahnung, wen er damit meinte. Wenn du jetzt ohne deinen Beschützer bist, wenn er ...«
»Sprich es nicht aus!«
»Nein, nein. Aber ist dir denn nicht klar, dass dir Monsieur Rouillard als Erstes die Frage stellen wird, was sich abgespielt hat, als du mit Monsieur Wallace allein unterwegs warst? Wenn du dieses Verhör unbeschadet überstehen willst, dann musst du vorbereitet sein.«
Ihre Tante hatte recht, das wusste Sonia nur zu gut. Ihr war jedoch nicht klar, wie sie die wichtigste aller Fragen beantworten sollte.
Nicht ganz eine Stunde später saß Sonia in einem Kleid aus braun und gold gestreifter Seide vor ihrem Toilettentisch, während ein junges Dienstmädchen ihr Haar zu einem geflochtenen Kranz legte. Plötzlich flog die Tür mit so viel Schwung auf, dass sie gegen die Wand donnerte und fast wieder zugefallen wäre, weshalb Jean Pierre sie erneut aufdrücken musste, als er eintrat.
»Raus.«
Der wütend gezischte Befehl galt dem Dienstmädchen, das mit einem verängstigten Blick über die Schulter aus dem Zimmer eilte. Womöglich war auch Tante Lily gemeint gewesen, doch die unerschrockene Lady hörte einfach nicht hin, sondern hängte Sonias Überwurf in den Eckschrank, in dem sich bereits ein Kleid für den Tag, ein Abendkostüm sowie ein Schultertuch und - im obersten Regal — Hut und Kappe befanden.
Falls ihr Verlobter erwartete, dass sie sich angesichts eines so geladenen Auftritts vor Angst verkriechen würde, dann musste er schon bald erkennen, dass er sich im Irrtum befand. Sie stand nicht auf, sondern drehte sich auf ihrem Stuhl um, als sitze sie auf einem Thron. »So charmant wie immer, Monsieur Rouillard«, ging Sonia sofort zum Angriff über. »Aber das überrascht mich nicht. Immerhin ließen Sie mich aus der Postkutsche von Xalapa zerren und vor Ihrer Haustür abladen wie eine Kiste mit Hühnern.«
Er blinzelte verdutzt und blieb abrupt stehen. »Ich bitte um Verzeihung, aber ich wollte Sie unbedingt sehen. Sie hätten schon längst bei mir sein sollen.«
»Ja, und das wäre ich zweifellos auch, hätte uns nicht ein mexikanisches Kriegsschiff daran gehindert. Ein kleiner, aber ärgerlicher Zwischenfall. Und wo waren Sie gestern Abend, dass Sie mich nicht begrüßen konnten?«
Die Art, wie er schuldbewusst errötete, sprach für sich. »Ich war anderweitig verhindert.«
»Zweifellos«, sagte sie in einem repressivem Tonfall. »Ich hoffe, sie war hübsch und nicht zu habgierig.«
»Mademoiselle Bonneval!«
»Sind Sie schockiert? Nun, ich kann mir vorstellen, warum Sie das sind. Wir kennen uns kaum, und von daher wissen Sie nichts über meinen Charakter. Vielleicht können Sie mir erklären, wieso Sie glaubten, Sie
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