Duell der Leidenschaft
Reling, einige spazierten über Deck, andere ordneten ihre Habseligkeiten, die sie mit an Bord gebracht hatten, oder machten sich fürs Frühstück fertig. Sonia verschwand wieder unter Deck, vielleicht um ihre Tante zu suchen. Kerr sah ihr nach, dann stieß er sich von der Wand ab und stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Er hielt die Lady nicht für dumm oder verzweifelt genug, als dass sie vom fahrenden Schiff springen könnte. Es wäre sogar dann Selbstmord, wenn sie wusste, wie sie mit den Armen rudern musste, um sich über Wasser zu halten
- so wie es der Seemann machen musste, den er gezwungen hatte, an Land zu schwimmen. Der Mississippi war ein breiter Fluss, bis zum Ufer war es schier unendlich weit. Also konnte Kerr sich etwas Ruhe gönnen und vielleicht versäumten Schlaf nachholen, da er wusste, Sonia würde ihm nicht entkommen.
Er gab sich alle Mühe, genau das zu tun. Er ließ das Essen aus, entledigte sich seiner Stiefel und legte sich in seine Koje. Dann zog er den Vorhang zu, damit er in der großen Gemeinschaftskabine etwas Ruhe hatte. Mit geschlossenen Augen lag er da und lauschte auf seinen Herzschlag und das Dröhnen der Dampfmaschine. Aus dem Salon gleich nebenan hörte er einige Gentlemen murmeln, die ein Glücksspiel spielten, was er deutlich daran erkennen konnte, dass Karten mit viel Schwung abgelegt wurden.
Ein kurzes Nickerchen, mehr nicht, sagte er sich.
Aber es gelang ihm nicht.
Was, wenn er sich irrte? Was, wenn Mademoiselle Bonneval ihren vorgesehenen Ehemann so sehr verabscheute, dass sie alles unternehmen würde, um ihm zu entkommen? Sie war keine schwächliche, ängstliche junge Frau, die beim ersten Rückschlag sofort aufgab. O nein, ganz im Gegenteil. Sie würde jedem von ihnen trotzen - Bonneval, Rouillard, sogar ihm selbst. Vor allem ihm selbst.
Außerdem würde der Dampfer nicht die ganze Zeit über der Fahrrinne in der Flussmitte folgen können. Sandbänke,
Inseln und Treibgut - gelegentlich sogar ganze Bäume, die ihre kahlen Äste wie ertrinkende Seelen zum Himmel reckten — würden das Schiff zwingen, sich dem Ufer zu nähern. Es war durchaus möglich, dass sie einfach vom Achterschiff ins Wasser sprang.
Die Chancen, das Ufer zu erreichen, waren nur gering, wenn sie diesen Versuch in ihren schweren Röcken wagen sollte. Die würden sie in die Tiefen des morastigen Flusses ziehen, wo sie mit aufgerissenen Augen auf dem Grund liegen würde, umgeben von Katzenfischen und Schildkröten. Und das galt nur für den Fall, dass sie nicht seitlich über die Reling sprang und von den Schaufelrädern erschlagen wurde.
Kerr setzte sich abrupt auf und verdrängte diese schrecklichen Bilder aus seinem Kopf, während er mit den Händen über sein Gesicht fuhr. Dazu durfte es nicht kommen. Das würde er nicht zulassen.
Er rollte sich aus dem Bett und ignorierte den Protest seiner ermüdeten Muskeln, zog seine Stiefel wieder an und kehrte zurück an Deck. Es beruhigte ihn nicht im Mindesten, dass die Lady es sich auf einem Deckstuhl bequem gemacht hatte. Auf ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch, dessen Seiten sich in der Brise bewegten. Die Augen hatte sie geschlossen, da sie friedlich schlummerte.
Kerr zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Er faltete die Hände, lag eine Weile da betrachtete Sonia. Sein Blick wanderte von den zarten dunklen Locken, die über ihre Wange strichen, zum Schwung ihrer Lippen und den sanften Rundungen ihrer Brüste, die sich mit jedem Atemzug hoben und senkten. Die Röcke bedeckten zwar ihre Fesseln, dennoch konnte er hin und wieder dank eines verirrten Windstoßes für einen Moment ihre perfekt sitzenden weißen Strümpfe erblicken.
Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und fluchte leise, dann zog er die Schöße seines Gehrocks hoch und legte sie so über sich, dass sie die Vorderseite seiner Hose ein wenig bedeckten.
Er hatte diese Frau geküsst, er hatte sie festgehalten, ihren Busen, den Bauch und die Oberschenkel gespürt, als er sie gegen sich gedrückt hatte. Ihr Geschmack ging ihm nicht aus dem Sinn, ein süßer, berauschender Geschmack fernab jeder Vorstellungskraft. Er verzehrte sich nach ihr mit einer Sehnsucht, die zu drei Teilen reine körperliche Lust, zu einem Teil aber etwas gänzlich anderes war.
Die Verlobte seines Feindes. Was war es nur, dass ein Mann ausgerechnet die Frau besitzen wollte, die jemand für sich beanspruchte, den er verabscheute? Rührte das aus dem Instinkt, den
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