Duell der Magier 01 - Unter den magischen Monden
klar, blau und wolkenlos. Sie konnte fast den beißend kühlen Wind in ihrem Gesicht fühlen, während sie die kleinen, hochrädrigen Wagen, die neben der Herde mitzogen, beobachtete. Sie schwebte über ihnen wie ein Greifvogel in diesem kristallinen Blau und fragte sich, ob es sich bei den Leuten um ihre eigenen oder die eines anderen Windläuferstammes handelte. Dann beugte sie sich hinab und versuchte, die Gesichter der Miniaturgestalten zu erkennen. Der Spiegel reagierte auf ihren Wunsch, und die Brennweite änderte sich, bis sie genau über den Karren schwebte. Sie sah ihren Großvater auf dem vordersten Wagen sitzen und singen, wie es seine Gewohnheit war. Er wirkte glücklich und zufrieden mit seinem Leben. Ihre Brüder ritten auf Vinats neben dem Wagen her. In ihm saßen ihre Mutter und Schwestern, wie sie es auch so viele Male gemacht hatte. Sie blinzelte. Der Anblick weckte Unbehagen in ihr.
Der Noris legte eine Schriftrolle neben sie. Sie nahm sie an sich und öffnete sie. Dann lächelte sie. Bei der Rolle handelte es sich um eine geographische Beschreibung des westlichen Erdteils. Sie schaute auf den Abschnitt neben ihrem Daumen.
Sankoy. Die Teppichknüpferinnen.
Wieder berührte sie den Spiegel. Als er sich klärte, sah sie einen langen, schmalen Raum, in dem ein Webstuhl vom Boden bis zur Decke reichte. Ein Dutzend Mädchen arbeitete mit zierlichen Fingern an vertikal gespannten Fäden. Ohne je abzusetzen knüpften sie mechanisch Knoten um Knoten, und ihre großen Augen blickten starr aus ihren ungesund aussehenden Gesichtern. Serroi schauderte und ließ das Bild durch ihre Berührung erlöschen.
»Nutze den Spiegel zum Lernen, Serroi.« Der Noris klang erfreut.
Sie wandte sich um. Er stand im Türrahmen und beobachtete sie. Sie stand auf und trat ihm gegenüber. »Ich möchte ein Noris werden.«
Nach einer Schrecksekunde überdachte er ihre Äußerung und war offenbar bekümmert, weil er nicht wußte, was er ihr antworten sollte. Langsam schüttelte er den Kopf. »Das ist nicht möglich.«
»Warum? Ich bin nicht dumm. Ich kann lernen. Du hast mir bereits ein paar Zaubersprüche beigebracht. Ich kann neue erlernen. Das kann ich sehr wohl.«
»Du bist ein Mädchen.« Er sagte das mit gelassener Endgültigkeit, als genügte das als Erklärung.
Sie wollte es nicht akzeptieren. »Ich kann so schnell lernen wie jeder dieser dummen Jungs. Ich bin jetzt seit drei Jahren hier. Ich habe eine Menge gelernt. Ich kann alles lernen, was ich brauche, um Noris zu werden.«
Er winkte ungeduldig mit der Hand ab. »Es hat nichts mit deiner Intelligenz zu tun, Kind. Auch nicht mit deinem Geschick. Auch nicht mit einem deiner vielen anderen Talente. Ich fürchte, es hängt wirklich nur daran. Nor müssen unbedingt männlichen Geschlechts sein. Wenn eine Frau den Nor-Weg zur Macht einschlüge, müßte sie ebensosehr gegen sich selbst ankämpfen, wie sie um ihre Stellung ringen muß.« Als sie den Mund zu einem weiteren Einspruch öffnete, da sie seine langsame, zögernde Erklärung weder verstand noch hinnahm, schnaubte er verächtlich und ging.
Serroi starrte den blonden Jungen an. Er erwiderte ihren Blick. Seine Angst schien mit dem Noris zu verschwinden. Sie preßte die Lippen zusammen, und ihr Neid brannte wie Feuer in ihrem Magen. Der Junge könnte ihren Platz bei ihrem Noris einnehmen, wenn sie nicht gehorsam war. Sie kämpfte gegen ihren Kummer an und schloß die Faust fest um den Kiesel. »Wie heißt du, Junge?«
Er blinzelte sie ernst an. Langsam fuhr seine Hand empor und er begann, an seinem Daumen zu lutschen. Er sagte nichts. Serroi kniff ihn in den Arm. »Name!« Er wich vor ihr zurück und nahm den Finger aus dem Mund. »Böse!« rief er ihr zu. »Häßliches Mädchen. Häßliches Froschgesicht. Häßlich. Häßlich. Häßlich.« Als sie mit der Hand ausholte, um ihn zu ohrfeigen, streckte er die Zunge heraus und lief fort, um sich hinter dem Bett zu verstecken.
Den ganzen Frühling versuchte sie ihre Antipathie gegenüber dem Jungen zu überwinden, weil das ihre Bemühungen behinderte, ihn zu erkunden und zu beherrschen. Er erwiderte ihren Haß mit aller Leidenschaft seines kleinen Körpers. Er war ein hübsches Kind mit heller, zarter Haut und glänzendem, dunkelgoldenem Haar. Er war jemandes Liebling und damit übel verwöhnt gewesen. Er weinte oft, war boshaft, heimtückisch und rannte immer wieder zum Noris, um ihm die blauen Flecken auf seinen Armen zu zeigen, wo Serroi ihn gekniffen
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