Duell im Eis
unscheinbaren hellblauen Chrysler mit normaler Nummer abgeholt. Eine junge, blondmähnige Frau saß am Steuer, begrüßte Virginia wie eine Schwester und wußte von nichts, als Virginia sie fragte, als nur, daß sie Miß Allenby im ›Carlton‹ abholen solle; sie erzählte dann von einem einmaligen Erlebnis: Bei Filmaufnahmen in Washington hatte sie Robert Redford die Hand drücken dürfen, und er hatte sie sogar angelächelt. »Direkt erotisch!« flüsterte die Blondine. »Man kam sich sofort wie nackt vor. Ein Gefühl war das …«
Im Pentagon, auf der zweiten Etage im Block IV, wurde Virginia von einem gutaussehenden, jungen Lieutenant der Air Force empfangen, der sich als Ric Henderson vorstellte und über viele Dinge, die für Virginia noch ein Rätsel waren, unterrichtet schien.
»Da kommt was auf uns zu, was?« sagte er zum Beispiel, als sie im Lift nach oben fuhren.
Virginia sah ihn erstaunt an. »Ich weiß von nichts. Ich habe einen Brief bekommen, soll nach Washington kommen, und das war alles. Um was geht es denn?«
»Das wird man Ihnen gleich erzählen, Virginia.« Henderson war ein unkomplizierter Mensch, das sah und hörte man sofort, anders als Lester, der sein und das Leben anderer immer zu analysieren versuchte und dann poetische oder spöttische Sätze losließ. »Wenn Sie zusagen, würde ich mich freuen.«
»Wozu zusagen?«
»In zehn Minuten wissen Sie es.«
»Und warum freuen Sie sich?«
»Ich bin auch dabei.«
»Wobei?«
»Geduld. Ich möchte General Pittburger nicht vorgreifen.«
Geradezu feierlich war es, als sie das Zimmer V betraten und drei Männer in Uniform sich von ihren Stühlen erhoben. Henderson grüßte zackig an der Tür. Virginia blieb neben ihm stehen und wartete ab. Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie hohen Militärs gegenüberstand; bisher kannte sie solche Uniformen nur aus dem Fernsehen und aus Kriegsfilmen, die sie gar nicht mochte, aber in die Lester sie immer mitschleppte, um hinterher lange Vorträge über die Perversion von Uniformträgern zu halten.
Die drei Herren stellten sich als General Pittburger, General Seymore und Captain Brooks vor. Konventionell höflich fragten sie, ob Virginia einen guten Flug gehabt habe, ob das Hotelzimmer in Ordnung sei, wie sie sich fühle, und fügten ein Lob über ihre Arbeit daran, mit dem Zusatz: »Wer Professor Shakes' Assistentin war, muß zur ersten Reihe gehören. Shakes war – Gott hab' ihn selig – ein schwer genießbarer Mensch. Er hielt die Mehrzahl der Menschheit für hirngeschädigt.«
Die Blondine, die Virginia gefahren hatte, brachte auf einem Tablett Kaffee, Zucker, Sahne, drei Flaschen mit verschiedenem Likör und eine Flasche Whiskey nebst Gläsern in den Raum. Seymore übernahm es, den Hausherrn zu spielen, und Henderson servierte. Virginia entschloß sich für Kaffee und ein Glas Cointreau.
»Ich lese in Ihren Augen, Virginia, die stumme Frage: Warum bin ich hier?« begann Pittburger das Gespräch. »Bestimmt nicht zum Kaffeetrinken.«
»Genau so ist es, General.« Virginia sah den Stabschef über den Rand ihrer Tasse an.
»Zunächst: Es geht um ein großes Geheimnis.« Pittburger lehnte sich vor. »Virginia, von diesem Augenblick an sind Sie Geheimnisträgerin und dürfen über alles, was Sie gleich hören, kein Wort zu einem anderen sprechen. Nicht zu Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Bräutigam, Psychiater oder Priester – zu keinem! Tun Sie es doch, wird auf Sie der Paragraph des Geheimnisverrates angewandt. Das kann jahrelanges Zuchthaus bedeuten. Ich muß Ihnen das in dieser groben Form sagen – es ist eine rechtliche Belehrung. Haben Sie das voll verstanden?«
»Bisher sehr gut.« Virginia nippte an dem Cointreau-Glas. »Nur das Geheimnis kenne ich noch nicht.«
»Ein Eisberg«, sagte General Seymore kurz.
»Wie bitte?« Virginia setzte verblüfft das Glas ab. »Verzeihen Sie, daß ich nicht lache, aber den Witz verstehe ich nicht.«
»Sie haben bestimmt auch gelesen, daß sich vor einigen Wochen vom Südpol, genauer vom Schelfeis des Ross-Meeres, der größte Eisberg losgelöst hat, den es bisher gegeben hat. Er ist 156,8 Kilometer lang, 40,5 Kilometer breit und 421 Meter hoch. Geradezu unvorstellbar, daß so etwas jetzt in den Südpazifik treibt. Ein Eisgigant, größer als Luxemburg, um nur ein Beispiel zu geben, wird zu einer schwimmenden Insel.«
»Ich habe davon gehört. In unserem Institut stellt man Berechnungen an, ob sich dadurch eine Veränderung der Meeresströme
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