Duell im Eis
schweige ich.«
»Und warum kommen Sie dann zu mir?«
»Um die Musik zu hören und Sie anzusehen, wie Sie selbst Musik werden. Ein Erlebnis ist das. Fast ein Wunder.«
»Es stimmt. Sie reden nur Unsinn!« Die Berreskowa hatte sich erhoben, war zu ihrem Schreibtisch gegangen und las die Blätter durch, die sie gestern geschrieben hatte.
Malenkow verfolgte sie mit neugierigen Blicken. Ein paarmal hatte er sie überrascht, daß sie nicht Musik hörte, sondern schrieb. Auch dann saß er in dem alten Sessel, sah ihr zu und schwieg.
»Sie arbeiten an einem neuen meeresbiologischen Werk, Genossin?« fragte er.
»Nein.«
»Was schreiben Sie dann, Ljuba Alexandrowna?«
»Einen Roman.«
»Einen Roman?« Malenkow kratzte sich den Kopf. Die völlig neue Situation machte ihn ratlos. »Sie schreiben wirklich an einem Roman?«
»Was ist daran so ungewöhnlich?«
»Ich hätte Ihnen ein nobelpreisverdächtiges wissenschaftliches Werk zugetraut – aber einen Roman? Das paßt nicht zu Ihnen.«
»Sagen wir es so: Sie kennen mich nicht. Überhaupt nicht! Was Sie von mir wissen, ist meine Personalakte und eine Gestalt aus Ihrer Phantasie. Bleiben Sie dabei, Kapitän Malenkow.«
»Wovon handelt der Roman?« Malenkow zündete sich wieder eine seiner stinkenden Zigaretten an. »Lassen Sie mich raten, Ljuba Alexandrowna: Ein junger Mann und eine junge Frau lieben einander, aber sie sagen es sich nicht. Kompliziert ist das alles. Sie beschimpfen einander und möchten sich doch viel lieber in die Arme fallen. Der Mann ist ein junger, schöner Seeoffizier, die Frau ist – na, haben wir Phantasie? – eine Opernsängerin. Aber warum sagen sie nichts von ihrer Liebe zueinander? Das ist das Problem, ein psychologisches Problem, ja, schon ein pathologisches, und der ganze Roman ist ein erregendes Psychogramm … Was halten Sie davon?«
»Nichts. Nur aus Ihrem Kopf kann so etwas Unsinniges hervorkriechen.« Die Berreskowa legte das Blatt, das sie gerade durchgelesen hatte, auf den Schreibtisch zurück. »Sagten Sie eben ›schöner Seeoffizier‹?«
»Ja.«
»Da beginnt schon die Dummheit. Der Roman, den Sie schreiben würden, ertränke sofort im Kitsch.«
»Verraten Sie mir nicht, wie Ihr Roman heißt, Ljuba Alexandrowna?«
»Die Sehnsucht nach Iwanowo …«
»Ist das ein Zufall!« Malenkow drückte beide Hände vor den Mund und starrte die Berreskowa an. Sein Herz zuckte, aber er saß da wie angeklebt an die alten Polster. »Iwanowo … In Iwanowo wurde ich geboren …«
»Ich weiß, Genosse Malenkow. Und jetzt machen Sie, daß Sie rauskommen. Ich will weiterschreiben.«
Wie auf den Kopf geschlagen, verließ Malenkow an diesem Abend das Zimmer der Berreskowa, legte sich in seinem Zimmer auf das Bett, starrte an die Holzdecke und fragte sich, ob er heute nicht der größte Idiot auf diesem Planeten gewesen war und es sinnvoller gewesen wäre, Ljuba ohne Fragen und einfach schweigend in seine Arme zu ziehen und sie zu küssen. Statt dessen war er davongelaufen.
Wie sagt ein sibirisches Sprichwort? Ein guter Jäger trifft das Wild, aber nicht seinen eigenen Stiefel.
Jurij Adamowitsch, du hast das Wild verpaßt …
Am nächsten Abend erkannte er, daß die verdeckte Schwäche der Berreskowa wirklich nur eine einmalige, nie wiederkehrende Laune gewesen sein mußte. Sie war abweisend wie nie, bedachte ihn mit rhetorischen Beleidigungen und erniedrigte ihn, indem sie eine Platte mit den ›Polowezer Tänzen‹ auflegte und fordernd sagte: »Jurij Adamowitsch, tanzen Sie danach. Sofort! Ich habe noch nie einen Bären tanzen sehen, dabei ist der Tanzbär eine uralte russische Volksbelustigung.«
Und Malenkow erhob sich brav von seinem Polstersessel und begann zu stampfen, sich zu drehen, zu hüpfen, in die Luft zu springen und in den Knien einzuknicken.
Als die Schallplatte endete, blieb auch Malenkow stehen, schwitzend, die Hände noch immer in den Nacken gedrückt, mit gerötetem Gesicht und schwerem Atem. »Man ist eben kein Bär, Ljuba Alexandrowna«, sagte er mit trockener Kehle. »Aber geben Sie es zu, ich habe mir große Mühe gegeben, es zu sein …«
Der Berreskowa drückte es den Hals ab. Sie schämte sich plötzlich, schämte sich so elementar, daß sie sich zum Fenster wandte, über die Meeresbucht starrte, in der vier Kriegsschiffe ankerten, und leise sagte: »Gehen Sie, Jurij Adamowitsch, bitte, gehen Sie. Es … es war schön … Aber nun sollten Sie gehen.«
Und wieder gehorchte Malenkow. Grußlos verließ er das
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