Duell: Island Krimi (German Edition)
sich gemocht, er hatte sie in den schwierigen Zeiten unterstützt, und sie hatten sich regelmäßig geschrieben, nachdem Dagmar nach Snæfellsnes gezogen war, um dort auf dem Bauernhof zu arbeiten. Nach ihrem Tod hatte er den Kontakt zu dem Bauern gehalten. Im Sommer fuhr er zur Zeit der Heuernte auf die Halbinsel, half beim Einbringen des Heus und verbrachte viel Zeit mit Dagmars Kind.
Marian war kaum krank gewesen, hatte höchstens den einen oder anderen Schnupfen gehabt und manchmal etwas Fieber. Doch eines Tages machte sich nach einem sehr verregneten Herbst anhaltendes Fieber bemerkbar, verbunden mit einem seltsamen Druck auf der Brust und Husten. Und bei einem solchen Hustenanfall hatte das zehnjährige Kind plötzlich Blutgeschmack im Mund. Der Bauer ließ den Arzt kommen, der an einem kalten, regnerischen Herbsttag auf einem schwarzen Pferd über den Bach geritten kam. Er trug einen dicken Mantel und hatte einen Hut auf, dessen Krempe vom schweren Regen nach unten gebogen wurde. Das Wasser lief in Strömen an ihm herunter. Der Bauer nahm ihn auf dem Hofplatz in Empfang und ging mit ihm ins Haus, wo die Hausfrau Hut und Mantel entgegennahm, um die Sachen zu trocknen, bevor er sich wieder auf den Rückweg machte. Sie unterhielten sich über das Wetter und waren sich einig, dass es ganz so wirkte, als wolle es überhaupt nicht mehr aufhören zu regnen. Als der Arzt die Schlafstube betrat, lag Marian im Bett. Er holte das Stethoskop aus seiner Tasche und horchte das Kind sorgfältig ab. Marian atmete auf Geheiß des Arztes tief durch, während er den kleinen Körper am Rücken und auf der Brust beklopfte und Marian bat, noch einmal zu husten. »Atme noch einmal tief durch, mein Kind«, sagte der Arzt und setzte ein weiteres Mal das Stethoskop an. »Hast du Blut gehustet?«, fragte er, und Marian nickte. In der Schlafstube war es kalt und klamm. Der Arzt war bis auf die Knochen nass und wollte sich möglichst bald wieder auf den Heimweg machen. Er horchte noch ein letztes Mal und verkündete dann sein Urteil. »Das Kind hat vermutlich Tuberkulose, die gibt es überall in dieser Gegend. Du solltest dafür sorgen, dass niemand mit Marian in Berührung kommt«, sagte er zu dem Bauern und stand auf. »Das Kind gehört eigentlich in das Tuberkulosespital in Vífilsstaðir.«
Der Bauer wusste keinen anderen Rat, als sich an Athanasius zu wenden, der sofort anreiste und Marian mit nach Reykjavík nahm, wo er ein langes Gespräch mit der Frau des Hauses führte. Niemand wusste, was die beiden beredeten, aber zur Überraschung aller änderte die Dame des Hauses ihre Einstellung, als sie erfuhr, wie es um das Kind stand. Und so wurde Marian in das Haus aufgenommen und der Obhut von Athanasius anvertraut. Die Frau des Hauses war bereit, dem Kind die beste ärztliche Betreuung zukommen zu lassen, sie hatte sogar in Aussicht gestellt, Marian in einem dänischen Tuberkulosesanatorium behandeln zu lassen. Dort sei das Klima viel angenehmer, sagte sie in ihrem seltsamen Gemisch aus Dänisch und Isländisch.
Ihr Sohn, der Vater des Kindes, wurde nicht in diesen Plan einbezogen, er kümmerte sich ohnehin nicht um Marian. Nur eine Bedingung stellte die Dame des Hauses: Die Vaterschaft dürfe niemals offiziell bekannt werden. Niemals. Und darauf einigte sie sich mit Athanasius.
»Natürlich habe ich gewusst, was von diesem Mann zu halten war«, stöhnte Athanasius, als er an Marians Vater dachte. Er schob ein kleines Boot ins Wasser, das er sich von Leuten lieh, die ein Sommerhaus am See besaßen. Er hatte zwei Angelruten dabei, eine für sich und eine für Marian, und die verstaute er zusammen mit einem Bottich im Heck des Bootes. Er ruderte zweihundert Meter auf den See hinaus und befestigte dort die Regenwürmer an den Angelhaken.
»Ist dir kalt?«, fragte er. Marian saß mit der Angelrute im Steven und hatte sich eine Decke um die schmalen Schultern gelegt. »Du musst mir immer gleich sagen, wenn dir kalt ist, das verträgst du nicht mit deinen Lungen.«
»Mir geht es prima«, sagte Marian. Das Boot schaukelte angenehm auf den Wellen. Die Sonne stand hoch im Zenit, und dennoch wehte eine recht frische Brise vom Skjaldbreiður, dem Vulkan im Hochland, herunter zum See. Der Wind machte Athanasius unruhig. Bereits nach kurzer Zeit hatte er aber zwei Forellen gefangen, die inzwischen im Bottich schwammen. Eine weitere wollte er noch fangen, das würde reichen.
»Heißen viele in Island so wie du?«, fragte Marian plötzlich in
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