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Duell: Island Krimi (German Edition)

Duell: Island Krimi (German Edition)

Titel: Duell: Island Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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isländischen Siedlungen durchgeschlagen, war dann aber im besten Mannesalter nach Island zurückgekehrt und hatte Arbeit bei dem Reeder bekommen. Marian hatte Athanasius oft darüber klagen hören, dass er besser in Kanada geblieben wäre, statt nach Island zurückzukehren. Diese Litanei begann meist, sobald sie die Straßen der Stadt verlassen hatten. Anscheinend konnte er gar nicht verstehen, wie er überhaupt auf diese Idee gekommen war. An seinem Dienstverhältnis hatte er aber nichts auszusetzen, im Gegenteil, er hatte großen Respekt vor dem Herrn und seiner dänischen Frau, er konnte sich über nichts beklagen – mit nur einer Ausnahme, nämlich wie sie Marian behandelten.
    »Es sind doch sonst so anständige Leute«, sagte er mit ungewohntem Nachdruck. Eigentlich war er ein friedliebender und zurückhaltender Mensch um die fünfzig, der immer sehr beflissen war und allen Menschen nur Gutes wollte. Ein schöner Mann war er allerdings nicht, sein Mund war groß und die Nase flach, und zudem hatte er eine Glatze. »Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb sie dich so behandeln«, sagte er. »Wahrscheinlich liegt es an der gnädigen Frau, die Dänen sind so versnobt.«
    Die Straße nach Þingvellir war erst vor einigen Jahren für die große Feier anlässlich des 1000-jährigen Allthing-Jubiläums angelegt worden. Seitdem hatte man sie allerdings ziemlich vernachlässigt, und nach einer längeren Regenperiode war der Boden aufgeweicht und schwer, sodass sich Athanasius ganz aufs Fahren konzentrieren musste.
    »Ich finde, dass sie den Tatsachen ins Auge sehen sollten«, sagte er und wich einem großen Schlagloch so plötzlich aus, dass sich Marian am Beifahrersitz festklammern musste. »Sie sollten den Quatsch lassen und anerkennen, dass du auch zur Familie gehörst. Ich verstehe einfach nicht, wie sie mit deiner Mutter umgegangen sind.«
    »Pass auf!«, schrie Marian.
    »Schon gesehen«, entgegnete Athanasius, dem es diesmal gelang, einem größeren Stein auszuweichen. »Aber es geht natürlich ums Geld. Du hast Anrecht auf das Erbe, aber davon wollen sie natürlich nichts wissen.«
    Der älteste Sohn und Rechtsanwalt hatte an jenem Morgen die Familie besucht, und genau das war der Anlass für diese kritischen Äußerungen von Athanasius gewesen. Der Sohn war kein häufiger Gast in seinem Elternhaus, doch diesmal war er mit seiner Frau und den beiden noch recht kleinen Töchtern erschienen. Zwar wusste jeder, dass er Marians Vater war, aber darüber wurde nie gesprochen. Marians Mutter hieß Dagmar und war genau wie die Dame des Hauses dänischer Abstammung. Sie war in Reykjavík geboren und aufgewachsen, ihre Mutter war Dänin, ihr Vater Isländer gewesen. Beide waren 1918 an der Spanischen Grippe gestorben. Über Bekannte hatte Dagmar die Stelle bei der »Herrschaft« erhalten, und drei Jahre später hatte der älteste Sohn sie geschwängert, wozu er sich aber nie bekannte. In Athanasius’ Augen war er nichts weiter als ein charakterschwacher junger Kerl. Die Familie schickte ihn mit dem nächsten Schiff nach Kopenhagen, und Dagmar wurde aus dem Haus gejagt. Nach der Geburt des Kindes nahm sie eine Arbeit auf einem Bauernhof in der Nähe von îlafsvík auf der Halbinsel Snæfellsnes an. Sie hatte einige Male versucht, sich mit dem Kindsvater in Verbindung zu setzen, aber der wollte nichts mit ihr zu tun haben. So erfuhr sie auch nicht, dass er in der Zwischenzeit in Dänemark geheiratet hatte.
    Als Marian drei Jahre alt war, ging Dagmar zusammen mit einigen anderen mitten im Winter zu einer Tanzveranstaltung in Hellissandur. Der Weg dorthin war nicht ungefährlich, man musste die Gezeiten abpassen, da man nur bei Niedrigwasser die gefährlichen Steilklippen unterhalb von îlafsvíkurenni passieren konnte. Sie hatten sich in Hellissandur länger amüsiert als geplant, sodass auf dem Rückweg bereits die Flut mit starker Brandung eingesetzt hatte. Die Gruppe wusste, dass es keinen Zweck hatte weiterzugehen, und beschloss umzukehren. Im selben Augenblick brandete eine gewaltige Welle an, die einige von ihnen mit sich riss. Zwei Frauen wurden mit der rückflutenden Welle hinausgesogen und ertranken. Eine der beiden war Dagmar. Die Leichen wurden zwei Tage später etwas weiter westlich angespült und in îlafsvík beigesetzt.
    Marian blieb auf dem Hof des Bauern und wurde dort wie eines der eigenen Kinder aufgezogen. Doch an diese Ereignisse konnte sich Marian nicht erinnern. Athanasius und Marians Mutter hatten

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