Duell: Island Krimi (German Edition)
Ich hab noch nie auf einer Bühne gestanden, ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«
»Aber wenn alle zusammen spielen und wir so tun also ob«, sagte Marian, »das ist doch nichts anderes.«
»Aber auf der Bühne werden mich alle anstarren. Und ich falle womöglich hin oder vergesse meinen Text, und dann lachen alle.«
»Und was ist dabei?«, fragte Marian.
»Du hast gut reden, du musst ja auch nicht mitspielen.«
Darauf wusste Marian keine Antwort.
»Dann sag den anderen doch einfach, dass du nicht mitspielen möchtest.«
»Aber ich möchte doch so gerne.«
»Dann tu’s doch!«
»Ich trau mich nicht.«
»Komm, lass uns zum Meer hinunter gehen.«
»Ich darf heute nicht viel laufen. Der Arzt hat gesagt …«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts«, entgegnete Katrín mit leiser Stimme.
Katrín hatte kupferrote Haare und eine entsprechend empfindliche Haut, sodass sie schnell einen Sonnenbrand bekam. Ein Pfleger im Sanatorium hatte ihr einen alten Strohhut geschenkt, um sich gegen die Sonne zu schützen, und sie trug immer nur langärmelige Blusen. Sie setzte sich den Hut auf und wiederholte, was der Arzt ihr noch am Morgen gesagt hatte: Sie solle möglichst viel ruhen und nichts Anstrengendes unternehmen. Sie ging mit Marian hinunter zum Fjord und sie folgten dem Spazierweg am Wasser entlang. Es war Ende August, und die salzige Meeresluft mischte sich mit dem Duft der Bäume. Marian bemühte sich, langsam zu gehen, damit Katrín sich nicht zu sehr anstrengen musste. Am gegenüberliegenden Ufer lag ein kleines Dorf, das Marian noch erkunden wollte. Und dort dösten auch einige Bauernhöfe in der Nachmittagshitze vor sich hin.
»Bitte, lass uns nicht weitergehen, Marian«, sagte Katrín. Sie musste sich neben dem Pfad ins Gras setzen, um sich auszuruhen. »Es wäre besser, wenn wir jetzt umkehren würden.«
»Was ist mit dir?«, fragte Marian.
»Ich bin ein bisschen müde«, entgegnete Katrín. »Komm, lass uns eine Weile hier ausruhen.«
»Am besten kehren wir um«, sagte Marian.
»Lieber erst etwas ausruhen.«
Katrín legte sich ins Gras und zog sich den Strohhut übers Gesicht. Marian setzte sich zu ihr. Eine schwache Meeresbrise verschaffte ihnen ein wenig Kühlung. Marians Blicke waren auf einen kleinen Küstensegler gerichtet, der an ihnen vorbeiglitt. Marian musste auf einmal an Athanasius denken und das, womit er sich wohl gerade beschäftigte. Wahrscheinlich würde er sich die üblichen Sorgen wegen der Kartoffelernte machen, und bald würde er die Forellen wieder im See von Þingvellir in ihre Freiheit entlassen. Marian hatte am Morgen angefangen, einen Brief an ihn zu schreiben:
Lieber Athanasius!
Von mir gibt es nur Gutes zu berichten. Das Sanatorium ist so groß, dass ich es kaum beschreiben kann. Ich glaube, die Liegehalle ist bestimmt die größte auf der ganzen Welt. Der Arzt, der mich behandelt, sagt, dass sich die Tuberkulosebakterien bei mir nicht ausgebreitet haben. Er ist der Meinung, dass sie vermutlich rezessiv sind. Die Pneumothorax-Methode hat also gewirkt. Ist das nicht eine gute Nachricht? Die Kinder sind sehr nett, und es gibt immer viel Abwechslung. Hier ist auch ein isländisches Mädchen, das Katrín heißt, wir sind inzwischen eng befreundet. Sie ist eine Cousine von Anton, der mit mir zusammen im Vífilsstaðir-Spital war. Sie hat genau wie ich Tuberkulose in den Lungen, aber sie ist viel schwächer als ich.
Weiter war Marian mit dem Brief nicht gekommen. Katrín war unter ihrem Hut eingeschlummert. Das Boot glitt in der leichten Sommerbrise langsam in Richtung der Fjordmündung. Marian hatte Athanasius einmal nach Gott gefragt, woraufhin er sehr aufgebracht war. Er hatte geantwortet, es habe keinen Sinn, ihn nach Gott zu fragen, weil er ein eingeschworener Atheist sei, und zwar schon immer. »In meinen Augen ist das alles Humbug«, hatte er gesagt. »Da glaube ich doch lieber an Elfen und Trolle! Müsste man nicht annehmen, dass es keine Tuberkelbakterien auf der Welt geben dürfte, wenn da wirklich ein lieber Gott wäre? Erklär du mir das! Und es geht ja nicht nur um Tuberkulose. Die Leiden auf der Welt sind ohne Zahl. Diese Grausamkeit! Was ist das für ein Gott, der über alles Unheil in dieser Welt herrschen möchte? Aber was weiß ich schon, ich weiß gar nichts. Selbstverständlich kann jeder daran glauben, dass irgendetwas über ihn wacht, wenn er das möchte, aber ich tue es nicht. Selbstverständlich können die Leute das, mein Kind. Was weiß ich
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