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Duell: Island Krimi (German Edition)

Duell: Island Krimi (German Edition)

Titel: Duell: Island Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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denn schon?«
    Katrín setzte sich auf und sah lange auf den Fjord hinaus. »Ich möchte nach Hause«, sagte sie schließlich.
    »Ja«, sagte Marian und stand auf. »Komm.«
    »Nein, ich meine nicht das Sanatorium. Ich will zu mir nach Hause. Hier bin ich nicht zu Hause, und ich will hier nicht sein. Ich will nach Hause.«
    »Niemand will hier sein«, entgegnete Marian. »Ich nicht, und du nicht, und auch sonst niemand.«
    »Ich will nach Hause«, sagte Katrín wieder und begann leise zu weinen. Die schmalen Schultern unter dem Sonnenhut zitterten. Marian setzte sich auf und nahm sie in die Arme.
    »Du kommst ja bald nach Hause. Du musst an gute und schöne Dinge denken, und nicht an all das andere. Dann fühlst du dich besser.«
    Katrín wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
    »Sie müssen einen Lungenflügel bei mir schließen.«
    »Ja, das hast du mir gesagt.«
    »Sie können keine Luft mehr hineinpumpen, weil diese Kavernen sich so eingekapselt haben.«
    »Wollen sie dann …?«
    Katrín nickte.
    »Der Arzt sagt, dass es keinen Aufschub duldet.«
    »Wollen sie das jetzt sofort machen?«
    »Vielleicht wäre es besser, einfach zu sterben«, sagte Katrín.
    »Das darfst du nicht sagen.«
    »Du weißt nicht, wie schrecklich das ist. Du weißt nicht, wie man danach aussieht.«
    »Doch ich weiß es.«
    »Woher denn?«
    »In Vífilsstaðir wurde manchmal ein Mann eingeliefert, der war Polsterer oder so was«, sagte Marian. »Der hat gesagt, er wäre dreimal mit Tuberkulose in den Lungen dorthin gekommen. Beim ersten Mal war er ein paar Wochen dort, und dann ging es ihm wieder besser. Vier Jahre später wurde er wieder eingewiesen, blieb dann ein paar Monate im Sanatorium und wurde als geheilt entlassen. Als er zum dritten Mal eingeliefert wurde, war er überzeugt, dass ihm nur noch der Tod bevorstünde. Es blieb keine andere Methode mehr übrig als die Rippenresektion, um den Lungenflügel stillzulegen. Die Operation gelang, er hat lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen, aber er hat es geschafft und hat seitdem keine Beschwerden mehr.«
    »Ist das wirklich wahr?«
    »So wahr, wie ich hier sitze. Ihm waren die Rippen, die sie herausnahmen, egal. Er war einfach froh darüber, dass er am Leben blieb.«
    »Ich weiß, wie man nach so einer Operation aussieht«, sagte Katrín. »Das habe ich gesehen, und ich will nicht so werden.«
    Der Kutter war inzwischen nicht mehr zu sehen. Katrín stand auf, und sie gingen langsam wieder zur Liegehalle zurück. Marian fand keine Worte, die Trost spenden oder Katríns Ängste beschwichtigen konnten.
    * * *
    Am Abend schlüpfte Katrín in die Rolle des Rotkäppchens, und sie strahlte, als sie dafür gelobt wurde, wie gut sie ihre Rolle gelernt hatte und wie gut sie gespielt hatte. Am nächsten Morgen brachte man sie in den Operationsraum. Sie hatte die ganze Nacht geweint und weinte auch noch unter den Vorbereitungen für den Eingriff. Das Ärzteteam machte sich mit gewohnter Routine an die Arbeit, und der Oberarzt selbst entfernte die Rippen, damit die Lunge verschlossen werden konnte.
    Marian musste sich vor dem Eingang zum OP -Raum von Katrín verabschieden und wartete dann gespannt und unruhig auf das Ende der Operation, doch die zog sich unendlich in die Länge. Zum Schluss verlor Marian die Geduld und schlich in den Vorraum, ohne dass jemand es bemerkte. Dort gab es ein Fenster, von wo aus man den Operationstisch sehen konnte. Marian bot sich ein grauenvoller Anblick – die Ärzte mit ihren Instrumenten, Katríns geöffneter Körper und die Rippenstücke in einer Schale daneben.
    »Was macht denn dieses Kind hier?!«, rief jemand im OP -Raum. Marian schrak zusammen, wankte auf den Korridor und musste sich übergeben. Eine Krankenschwester kam zu Hilfe und brachte Marian zurück auf das Zimmer.
    Später an diesem Tag beendete Marian den Brief an den Freund in Reykjavík mit den philosophisch anmutenden Worten, die Athanasius für den Rest seines Lebens ein Rätsel bleiben sollten:
    Es ist einfacher, an Gott zu glauben,
wenn man weiß, dass es ihn nicht gibt.

Vierundzwanzig
    Marian lag im Tiefschlaf und träumte von den Forellen im See von Þingvellir, als sich das Telefon im Wohnzimmer meldete. Es gelang Marian nicht, rechtzeitig abzuheben, zu lange dauerte es, um aus dem tiefen, kalten See aufzutauchen. Nach kurzer Zeit begann der Apparat ein weiteres Mal zu klingeln. Marian erwachte endlich und stand auf. Am anderen Ende der Leitung erklang eine

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