Duell: Island Krimi (German Edition)
auch im Kino.«
»Wann hast du diesen Mann im Hotel gesehen, und wo?«
»Er durchquerte die Lobby. Ich arbeite im Büro des Hotels und hatte etwas in der Rezeption zu erledigen. Da ist er mir aufgefallen.«
»Und dann hast du ihn im Kino wiedergesehen?«
»Ja. Reicht es nicht allmählich? Ich muss los.«
»Bist du ihm seitdem noch einmal im Hotel begegnet?«
»Nein, aber ich werde sofort Bescheid geben, wenn ich ihn noch einmal sehe.«
»Was meinst du, war dieser Mann Isländer oder ein Ausländer?«
»Ein Ausländer«, entgegnete Viktoria prompt.
»Wieso bist du dir da so sicher?«
»Das war ihm einfach anzusehen. Er hatte einen ziemlich dunklen Teint und rabenschwarze Augenbrauen. Er war ganz bestimmt ein Ausländer.«
»Was meinst du, aus welchem Land er kommt?«
»Keine Ahnung.«
»Was würdest du tippen, war er Russe oder Amerikaner?«
»Woher soll ich das wissen. Er war außerordentlich gut gekleidet, er wird also vielleicht eher Amerikaner gewesen sein. Er sah richtig elegant aus, ganz anders als die Russen. Auf jeden Fall nicht wie die, die im Loftleiðir absteigen. Die sehen eher provinzlerisch aus. Wahrscheinlich sind sie ja auch Provinzler, genau wie wir.«
Viktoria lächelte. »Seid ihr fertig? Ich muss dringend los. Mein Mann ist zu Hause, irgendein Flug ist ausgefallen. Ich habe das Gefühl, dass er Verdacht geschöpft hat. Und er … Ich habe euch doch schon gesagt, dass er sehr eifersüchtig ist. Entsetzlich eifersüchtig.«
»War das nicht der Zweck der Übung?«, fragte Marian. »Wolltest du dich nicht an ihm rächen?«
»Doch, ja«, sagte Viktoria und stand auf. »Er hat es verdient.«
»Nur eins noch. Setz dich bitte sofort mit uns in Verbindung, falls dir dieser Mann noch einmal im Hotel Loftleiðir begegnet.«
»Mach ich. Und bitte sorgt ihr dafür, dass keine Artikel mehr in der Zeitung erscheinen, in denen ich wie eine Nutte dastehe. Ihr müsst ihnen sagen, dass das alles nicht stimmt, dass das alles Quatsch ist. Ihr müsst das stoppen.«
»Wir werden unser Bestes tun«, sagte Albert wie jemand, der selber mit der Boulevardpresse schlechte Erfahrungen gemacht hat. »Aber du weißt ja, wie solche Blätter sind. Alles, was man sagt, legen diese Journalisten sich so zurecht, wie sie es brauchen, und bauschen es zu einer Sensationsnachricht auf.«
Marian stand jetzt ebenfalls auf.
»Eine Frage zum Schluss, Viktoria. Glaubst du, dass er dich bemerkt hat?«
»Mich bemerkt? Wer?«
»Dieser Mann. Glaubst du, er hat dich gesehen und könnte dich wiedererkennen?«
»Nein.«
»Weder im Hotel noch im Kino?«
»Nein, das glaube ich nicht. Wieso denn auch? Er hat mich nicht gesehen, er hat auf die Leinwand gestarrt. Und ich habe mich nur ganz kurz umgedreht. Und hinterher auf dem Weg nach draußen ist er mir nicht mehr aufgefallen. Nein, er hat mich nicht gesehen. Zumindest glaube ich das nicht.«
Am Abend konnte Marian Briem nicht einschlafen und blätterte in den Protokollen über den Fall Ragnar. Den Eltern zufolge, war er als Kind von einer hohen Leiter gestürzt, auf den Kopf gefallen und hatte lange Zeit im Krankenhaus gelegen. Marian konnte sich gut in diese leidvolle Situation hineinfühlen, dazu gab es viel zu viele Erinnerungen an all die Kinder in den Tuberkulosesanatorien, die Leiden, die Anton durchgemacht hatte, und Katríns schreckliche Qualen. Es war eine unbegreifliche Unbarmherzigkeit, die schon den Kleinsten durch diese schreckliche Krankheit widerfahren war. Genau wie andere Kinder, denen Marian mehr oder weniger kurz in der Kindheit begegnet war, hatte Ragnar nicht selbst über sein Schicksal bestimmen können. Für Marian war es immer die gleiche Sinnlosigkeit, die sich hierin zeigte. Grimmig und absurd. Ein grauenvoller Tod.
Dreiundzwanzig
Im Koldingfjord-Sanatorium war jeden Morgen Arztvisite. Eine kleine Gruppe von Ärzten und Assistenzärzten in weißen Kitteln ging von Zimmer zu Zimmer, im Gefolge von Krankenschwestern in ihrer Tracht, mit Haube und einer kleinen Uhr, die mit einer Sicherheitsnadel an die Brust geheftet war. Die Ärzte waren nicht ernst, sondern lächelten und strichen den Kindern gutgelaunt über den Kopf – genau wie die Krankenschwestern. Marian brauchte nicht lange, um sich in der dänischen Sprache zurechtzufinden und jedes Wort zu verstehen.
Im Sanatorium ging es Marian nicht schlecht. Es war kein Problem, andere Kinder kennenzulernen und die angenehme Luft am schönen Koldingfjord zu genießen. Eine gesunde Lebensweise mit
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