Duell: Island Krimi (German Edition)
Möglichkeiten zu reisen. Er ist beispielsweise zum Weißmeer-Ostsee-Kanal gefahren und war sehr beeindruckt. Und er rauchte diese schauderhaften Papirossy, die nach diesem Belomorkanal benannt waren. Solschenizyn hat über den Kanal und das Lager geschrieben, und das, was die Gefangenen dort erleiden mussten. Er war allerdings nicht so begeistert vom Gulag wie Viðar.«
»Hattest du, oder hattet ihr jemals den Verdacht, dass Viðar über die Regelung von Einreiseformalitäten hinaus noch in anderer Weise für die Russen gearbeitet hat? Hattet ihr Grund, das zu glauben?«
»Meinst du, dass man uns observiert oder ausspioniert hat?«
Marian nickte.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Hrefna.
»Und auch nicht, nachdem er wieder in Island war?«
»Nein, aber daran habe ich auch nie einen Gedanken verschwendet«, sagte Hrefna mit nachdenklich gerunzelten Brauen. »Und was hat das alles mit dem Elektrizitätswerk zu tun?«
»Nichts. Die Neugier ist mit mir durchgegangen«, sagte Marian und zwang sich zu einem Lächeln. »Die Zeiten damals waren so interessant.«
»Wir gehörten zur skandinavischen Abteilung der Komintern, der kommunistischen Internationalen. Viðar studierte an der Internationalen Lenin-Schule«, erklärte Hrefna. »Dort wurden Studenten aus aller Herren Länder ideologisch indoktriniert. An dieser Schule wurden zukünftige internationale Propagandafunktionäre unterrichtet. Die ausländischen Absolventen gingen wieder zurück in ihre jeweiligen Länder, um sich dort bei der Organisation und Strukturierung der Parteiarbeit einzubringen. Ich habe das Gefühl, dass Viðar das, was er in Moskau sah und hörte, nicht sonderlich gefallen hat, aber das hat er für sich behalten. Vor allem, als sie damit anfingen, Ausländer zu verfolgen. Zu dem Zeitpunkt bin ich auch selbst nach Island zurückgegangen.«
»Was genau wurde an der Lenin-Schule unterrichtet?«
»Das Übliche. Die wichtigsten leninistischen Schriften. Historischer Materialismus. Aber auch irgendwelche naturwissenschaftlichen Fächer. Und natürlich Agitprop.«
»Spionage?«
»Bestimmt auch, in irgendeiner Form. In vielen Ländern waren kommunistische Parteien verboten. Hierzulande nicht, aber in anderen Ländern waren sie verboten, und deswegen bildete man Leute aus, dagegen zu agitieren. Ich persönlich fand immer, dass die Lenin-Schule irgendeine Art von Geheimorganisation war.«
»Und Viðar?«
»Er hatte natürlich sehr enge Verbindungen zu den Russen, sowohl private als auch über die Partei. Er hat etliche Reisen in den Osten unternommen, die von der russischen KP organisiert wurden, und zwar nicht nur nach Russland, sondern auch nach China und in andere Länder Osteuropas.«
»Soweit mir bekannt ist, hat er dann aber nichts mit der späteren Volksallianz zu tun haben wollen.«
»Soweit ich weiß, hat er sich sehr schwer damit getan, den Einmarsch in Ungarn zu rechtfertigen. Und es gibt heute nur noch wenige, die sich immer noch nicht scheuen, das zu tun. Als die Russen in die Tschechoslowakei einmarschierten, hat er letztendlich seinen Glauben verloren. Das ist zumindest das, was ich gehört habe.«
»Raucht er immer noch diese Zigaretten?«
»Doch, ich glaube schon. Soweit ich weiß jedenfalls. Und er hat immer noch enge Verbindung zu seinen russischen Freunden. Einer gehört inzwischen zur Nomenklatura.«
»Tatsächlich?«
»Ich kann mich aus meiner Zeit in Moskau an ihn erinnern, er hat sich kaum verändert.«
»Wer ist das? Hast du ihn getroffen?«
»Nein, getroffen habe ich ihn nie, ich habe bloß kürzlich ein Foto von ihm gesehen, im Volkswillen . Ich glaube, ich habe die Zeitung noch nicht weggeworfen. Ich weiß zwar nicht, was für eine Rolle er genau spielt, aber er war in diesem Begleitkomitee.«
»In welchem Begleitkomitee?«
»Von Iwanow, dem russischen Sportminister. Er ist wegen der Schachweltmeisterschaft hier und ist mit einer ganzen Delegation angereist. Hast du nichts darüber gehört?«
Hrefna stand auf und ging in die Küche. Sie kam zurück mit ein paar Exemplaren des Volkswillens und blätterte darin. Als sie die richtige Ausgabe gefunden hatte, reichte sie sie Marian. In der Schlagzeile ging es um den Besuch des sowjetischen Sportministers Iwanow in Island, der mit einer großen Delegation angereist war.
»Es ist der Zweite von links.«
»Der da?«, entgegnete Marian und deutete auf einen Mann im Gefolge des Sportministers.
Das Foto von der Gruppe war auf dem Flughafen in Keflavík
Weitere Kostenlose Bücher