Duell: Island Krimi (German Edition)
nach Hause kommen?«
»Manchmal schon.«
»Wie geht es deiner Freundin? Ich habe gerade deinen Brief gelesen. Fürchterlich, was die mit der Kleinen gemacht haben. Hat sie sich wieder von der Operation erholt?«
»Sie … Ihr geht es nicht gut. Ich darf sie immer noch nicht besuchen.«
»Aber was ist mit dir? Wie geht es dir?«
»Mir geht es gut, ich muss viel ruhen. Und sie füllen immer wieder Luft nach. Bei mir ist es aber nicht so schlimm wie bei Katrín, ihr geht es sehr schlecht und …«
Marian begann zu schluchzen.
»… ich weiß nicht, warum sie so viel leiden muss.«
Athanasius schwieg eine Weile.
»Den Menschen werden ungleich schwere Bürden auferlegt«, sagte er schließlich. »Das weißt du doch.«
»Aber warum muss sie so furchtbar leiden?«
»Ich habe für dich eine Passage auf der Gullfoss gebucht, im nächsten Monat«, sagte Athanasius. »Dann kommst du nach Hause, und wir können ausführlich miteinander reden. Ich kann jetzt nicht viel länger sprechen, ich bin hier in der Stadtmitte auf dem Telegrafenamt. Es war schön, deine Stimme zu hören, ich hab mir Sorgen wegen deines Briefes gemacht. Ich weiß, dass du dich nicht gut fühlst, aber das wird schon wieder, Marian. Glaub mir. Mit der Zeit wird alles wieder gut.«
» Bless , Athanasius«, sagte Marian.
»Ja, bless , und auf ein …«
Mitten im Satz wurde das Gespräch abgebrochen. Marian stand noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand da. Die Tür öffnete sich, und die Oberschwester kam wieder herein. Sie erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. Marian reichte ihr den Hörer.
»Heute Abend darfst du deine Freundin besuchen«, sagte die Oberschwester. »Ihr geht es ein wenig besser, und sie hat nach dir gefragt.«
Katrín war von der Pflegestation wieder auf ihr Zimmer verlegt worden, aber sie war immer noch so erschöpft, dass sie kaum lächeln konnte, als Marian in ihr Zimmer kam. Doch dann huschte ein Anflug von Freude über ihr Gesicht. Es war so warm in dem Zimmer, dass Katrín nur unter einer dünnen weißen Bettdecke lag, und Marian versuchte angestrengt, nicht auf die unter der dünnen Decke sichtbaren Verbände zu starren. Tiefes Schweigen herrschte im Zimmer.
Marian setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Katrín schloss die Augen und schien einzuschlummern. Es verging einige Zeit, bevor sie die Augen wieder öffnete.
»Erinnerst du dich … an die Frau …«
»Was für eine Frau?«
»Von … von der ich dir erzählt habe?«
»Die du in den Westfjorden gesehen hast?«
»Ja.«
»Natürlich erinnere ich mich, denk nicht an sie«, sagte Marian. Katrín hatte vor der Operation von einer Frau erzählt, die sie in Ísafjörður beim Bezirksarzt gesehen hatte.
»Ich …«
Katrín konnte die Worte nur noch flüstern.
»… ich sehe grauenvoll aus.«
Sie schlief wieder ein. Marian saß neben ihr und wischte sich über die Augen. So verging einige Zeit, die Geräusche vom Fjord, das Tuckern der Motoren und das Rufen der Fischer drangen nicht bis in das Zimmer, so wenig wie das Kreischen der Kinder, die sich auf der Wiese unterhalb der Liegehalle tummelten. Auch draußen auf dem Korridor herrschte Schweigen. Es war schrecklich schwer für Marian, der Freundin gegenüberzusitzen, die nach der Operation sterbenskrank war. Es gab keine Worte des Trostes, die Katrín helfen konnten, sich mit den Tatsachen abzufinden.
Die Zeit verging. Katrín schlief sehr unruhig. Marian saß reglos und mit gesenktem Kopf auf dem Stuhl. Katrín hatte auf dem Weg in den OP -Raum geweint, weil sie sich vor diesem Eingriff fürchtete, genau wie vor dem Operationssaal, den sie für den Eingang zur Hölle hielt. Sie wusste, dass sie diesen Raum mit einem verunstalteten Körper verlassen würde, der zerstört werden würde, damit sie am Leben blieb. Sie kannte die Folgen. Sie hatte sie Marian zugeflüstert, bevor sie in den OP -Raum geschoben wurde. Mit anderen Menschen hatte sie nie darüber reden können.
Ein Bild hatte sich in Katríns Seele gebrannt, das Bild einer Frau, bei der man eine Rippenresektion vorgenommen hatte, um die Tuberkulose zu heilen. Katrín hatte damals im Wartezimmer des Bezirksarztes gesessen, durch einen Spalt konnte sie in das Behandlungszimmer sehen, und der Anblick, der sich ihren jungen Augen bot, war entsetzlich gewesen. Eine Frau zog sich nach der Untersuchung ihre Bluse wieder an, was ihr Schwierigkeiten bereitete, weil sie nicht in den Ärmel kam und niemand da war, um ihr dabei zu helfen. Sie
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