Duell: Island Krimi (German Edition)
Zustände«, sagte Marian. »Der Vietnamkrieg …«
»Ja, natürlich. Trotzdem habe ich, glaube ich, nirgendwo so große Not gesehen wie in Afrika, bewaffnete Auseinandersetzungen, Hunger und Mangel an allem, wo man auch hinschaut. Und die Kindersterblichkeit ist ungeheuerlich.«
»Leider interessiert sich kaum jemand für Afrika«, sagte Marian.
»Ja, das stimmt.«
Marian fädelte sich durch die engen Straßen im Zentrum. Die Frau betrachtete schweigend die Geschäfte und die gehetzt wirkenden Menschen.
»Die Röcke sind kurz geworden«, war das Einzige, was sie unterwegs sagte. »Und das in diesem kalten Land.«
Marian parkte den Wagen, trug den Koffer in die Wohnung und stellte ihn ab. Die Frau trat zögernd ein und blickte sich so scheu um, als würde sie hier trotz der langjährigen Freundschaft stören. Marian schüttelte den Kopf.
»Nun hab dich doch nicht so, komm herein.«
»Ich habe immer das Gefühl, dass ich dich störe.«
»Immer? Wir haben uns vier Jahre nicht gesehen.«
Die Frau schloss lächelnd die Tür hinter sich und folgte Marian ins Wohnzimmer mit dem Sofa, dem Couchtisch und dem Lehnstuhl und jeder Menge Nippes in den Regalen. Sie hatte Marian im Laufe der Jahre alle möglichen Kleinigkeiten geschickt, entweder mit kurzen Grüßen oder mit ausführlicheren Briefen, irgendetwas, was sie auf ihren Reisen irgendwo entdeckt hatte, auf Märkten oder in kleinen Geschäften abseits der vielbefahrenen Wege. Handwerkskunst, kleine Figuren, geschnitzte Arbeiten. Marian hatte alles sorgsam in den Regalen aufgestellt und besaß so eine ansehnliche Sammlung an Kunsthandwerk aus fernen Ländern.
»Ich koche uns einen Kaffee«, sagte Marian und ging in die Küche.
»Ja, das wär schön.«
Sie ging zu den Regalen und besah sich die Objekte. Sie erkannte jedes wieder und wusste noch genau, von wo sie stammten, und erinnerte sich sogar, wo sie sie gekauft hatte. Die ältesten stammten aus den frühen fünfziger Jahren, das neueste vom vergangenen Winter. Sie nahm die geschnitzte Figur in die Hand, eine Frau mit großen Brüsten. Ein Fruchtbarkeitssymbol vom schwarzen Kontinent, sie nahm es in die Hand und setzte sich damit auf das Sofa.
Auf dem Beistelltisch neben ihr stand ein gerahmtes Foto von Athanasius, den sie einmal getroffen hatte, und davor eine Kerze, die schon fast heruntergebrannt war. Das Foto war am See von Þingvellir gemacht worden. Athanasius stand neben einem Boot mit einer Angelrute in der Hand. Auch wenn die Aufnahme nicht sehr scharf war, konnte man doch das Lächeln erkennen, das Marian mit dem Fotoapparat in der Hand galt.
Marian kam mit dem Kaffee zurück ins Wohnzimmer, setzte sich neben sie und sah, dass sie das Foto betrachtete.
»Der liebe alte Mann hat sich so unglaublich gefreut, als ich ihm diese Angelrute geschenkt habe«, sagte Marian.
»Hast du sie ihm geschenkt?«
»Wir sind im Frühjahr immer zu diesem See gefahren, um Forellen zu angeln.«
»Und dann habt ihr sie wieder freigelassen.«
»Ja«, sagte Marian. »Ich habe nie gesehen, dass Athanasius irgendein Lebewesen töten konnte. Aber sag, wann machst du endlich Schluss mit dieser Herumreiserei und kommst zurück nach Island?«
»Du stellst mir jedes Mal dieselbe Frage.«
»Und ich bekomme immer dieselbe Antwort.«
»Ich fühle mich in erster Linie als Dänin, glaube ich. Manchmal sage ich auch, dass ich aus Dänemark stamme. Es ist so schwierig, den Leuten zu erklären, dass man Isländerin ist.«
»Tatsächlich?«, fragte Marian lächelnd. »Ich dachte immer, dass jeder im Ausland von Island spricht.«
»Nein, das beruht wohl auf einem großen Missverständnis. Aber natürlich reden jetzt alle von diesem Match. Spasski gegen Fischer.«
»Natürlich, es ist angeblich das Match des Jahrhunderts.«
»Findest du es nicht spannend?«
»Doch, ja, in gewissem Sinne schon. Aber dieses Duell wird ganz schön hochgespielt, vielleicht etwas zu sehr. Jeder von uns kämpft sein eigenes Match mit dem Leben, aber wir machen daraus nicht einen solchen Affentanz. Das weißt du doch besser als ich.«
»Hast du damit etwas zu tun?«
»Nein«, antwortete Marian, nahm ihre Hand und küsste sie. »Ich habe es mit einem vollkommen unbegreiflichen Fall zu tun.«
»Einem unbegreiflichen Fall?«
»Wir gingen zunächst davon aus, dass es sich um eine relativ unkomplizierte Messerstecherei handelte. Inzwischen steht aber fest, dass es sich um einen seltsamen und komplizierten Fall handelt, fast so etwas wie eine
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