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Duell: Island Krimi (German Edition)

Duell: Island Krimi (German Edition)

Titel: Duell: Island Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Indien oder nach Afrika.«
    Eine Weile herrschte Stille im Zimmer. Durch das Fenster drang Licht herein, der winzige Strahl fiel auf die Wand neben der Tür, Katrín starrte lange dorthin, und es schien, als würde sie die Gedanken lesen können, die auf der Matratze gedacht wurden.
    »Darf ich zu dir kommen?«
    »Ich dachte, du wolltest nicht …«
    »Jetzt will ich.«
    »Selbstverständlich«, sagte Marian.
    Katrín ließ sich vorsichtig von der Couch hinunter und unter Marians Bettdecke gleiten. Seit dem ersten Tag, als Marian sie zu umarmen versuchte, hatten sie sich kaum je berührt, doch nun schien der Zeitpunkt für die Umarmung gekommen.
    »Ich habe dich so vermisst«, flüsterte sie. »Du bist meine einzige Zuflucht, das bist du immer gewesen.«
    »Ich habe geglaubt, ich würde dich vielleicht nie wiedersehen«, sagte Marian.
    »Ich habe so oft an dich gedacht, über uns beide nachgedacht. Über all die schönen Briefe, die schönen Worte, die du mir geschickt hast.«
    Katrín griff nach Marians Hand und führte sie zu der langen Narbe. Marian ließ den Zeigefinger an der Wunde entlanggleiten, beugte sich zu Katrín hinüber und küsste die Narbe, küsste das Loch in ihrem Körper und vergrub das Gesicht in dieser Wunde.
    Katrín schmiegte sich an Marian.
    »Findest du mich nicht entsetzlich?«
    »An dir ist nichts, was entsetzlich wäre.«
    Marian umschloss Katríns Kopf mit beiden Händen und küsste sie.
    »Nichts.«
    Küsste sie wieder.
    »Nichts.«
    Küsste sie noch einmal.
    »Gar nichts.«
    * * *
    Es war kaum möglich, es als eine Beziehung zu bezeichnen, aber weder Marian noch Katrín hatten ein anderes Wort dafür. Es konnten drei Jahre vergehen, bis Marian sie wiedersah, und anschließend weitere vier Jahre. Manchmal trafen sie sich aber auch öfter, denn es kam vor, dass Katrín innerhalb eines Jahres dreimal nach Island kam. Mehr oder weniger ausführliche Briefe – manche länger, manche kürzer – und gelegentliche Telefongespräche reichten aus, um die Leere dazwischen auszufüllen. Katrín kam immer per Schiff nach Island, sie wollte nicht fliegen. Manchmal blieb sie zwei oder drei Wochen auf der Insel, um dann wieder in irgendeine andere Ecke der Welt zu verschwinden. Nach ein paar Jahren in der Archivverwaltung beim Oberstaatsanwalt bot sich Marian auf einmal eine Stelle bei der Kriminalpolizei. Marian hatte Ermittlungsunterlagen und die dazugehörigen Protokolle eingehend studiert und sich eingeprägt und wurde dank eines unfehlbaren Gedächtnisses, auf das die Mitarbeiter am Dezernat für Kapitalverbrechen gerne zurückgriffen, bald zu so etwas wie einem wandelnden Lexikon. Da Marian mehr als einmal entscheidend zur Lösung eines Falles beitragen konnte, war der Schritt zur Kriminalpolizei gar nicht groß.
    Dienstmädchen und Hausdiener gehörten nach dem Krieg der Geschichte an. Marians Wohltäter Athanasius arbeitete schon seit Langem nicht mehr für die »Herrschaft«. Eines Tages zur Sommersonnenwende saß Marian an seinem Sterbebett und versuchte, ihm die letzten Stunden zu erleichtern.
    »Du brauchst wirklich nicht immer meinetwegen zu kommen«, hatte Athanasius gesagt. »Du hast doch so viel Wichtigeres zu tun, als einem alten Kerl die Zeit zu vertreiben.«
    »Ich glaube, ich habe dir nie genug dafür gedankt, was du mir bedeutet und gegeben hast«, antwortete Marian. »Die ganze Zeit. Ich bezweifle, dass jemals jemand einen besseren Freund gehabt hat. Oder einen solchen Freund mehr gebraucht hat als ich.«
    »Du musst dich nicht bei mir bedanken«, sagte Athanasius. Er war sehr geschwächt, schloss die Augen und schlummerte ein. Marian blieb bis zum Abend bei ihm sitzen, dann wachte Athanasius wieder auf.
    »Bist du immer noch da?«, fragte er, als er Marian erblickte.
    »Wie geht es dir? Fehlt dir etwas?«
    »Ich habe keine Träume mehr«, sagte Athanasius. »Ich habe früher immer so viel geträumt … Ich vermisse die Träume.«
    »Und was ist deiner Meinung nach der Grund dafür?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht … vielleicht verschwinden sie vor uns.«
    Marian blieb am Sterbebett von Athanasius im Krankenhaus und spürte förmlich, wie dessen Lebenskraft nach und nach erlosch. Das Herz war alt und schwach, es schlug nur noch unregelmäßig, sein Atem ging schwer, und zuletzt fiel er ins Koma. Als er noch einmal wieder zu Bewusstsein kam, erzählte Marian ihm die Geschichte, wie der Kirchenvater Athanasius gestorben war. Bei ihm hielt ein Diakon namens Timotheus

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