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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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seinem Fahrrad vor einen Lieferwagen geraten. Jetzt war es Mittag. Sie überflog noch einige Meldungen aus der Umgegend, konnte sich aber nicht recht darauf konzentrieren. In ihrem Kopf schien nichts anderes mehr Platz zu haben als das, was sie von Wattführer Eike Brarens erfahren und was sie noch in der Nacht der alten Akte über das Unglück von damals entnommen hatte. Die Informationen darin waren zwar übersichtlich, aber sie reichten, um die Kartoffel in ihrem Magen zum Glühen zu bringen. Schließlich blickte sie auf, als sie an der offen stehenden Tür Fred vorbeihasten sah. Dann hörte sie, wie draußen ein Motor ansprang und Reifen quietschten.
    Femke krempelte die Ärmel ihres Uniformhemds auf. Im nächsten Moment kam Tjark herein. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Femke, dass etwas schiefgelaufen sein musste.
    Er nickte ihr zu und ging wortlos zur Kaffeemaschine.
    Femke klappte die Mappe mit den Berichten zu, strich mit der Hand darüber und sagte: »Es ist kein …«
    »… Kaffee mehr da«, ergänzte Tjark, öffnete die Vorratsdose und warf einen Blick hinein.
    »Das Pulver …«
    »… ist ebenfalls alle.« Er schloss die Dose wieder und streckte sich, wobei er die Arme wie zu einem Kopfsprung hochhielt. Femke sah Schweißflecken, die sich unter den Achseln in den Stoff seines Hemdes gesogen hatten. »Tjark, ich …«, begann sie, aber er fiel ihr ins Wort.
    »Ich brauche einen Kaffee. Gehen wir in die Eisdiele.« Ohne Femkes Reaktion abzuwarten, marschierte er los. Femke sprang auf, suchte auf dem Schreibtisch die vergilbte Kladde aus dem Jahr 1975 heraus und folgte Tjark mit großen Schritten. Als sie gegenüber am Eiscafé angelangt war, saß er bereits in einem blauweiß gestreiften Strandkorb in der Sonne, bestellte sich einen großen Kaffee, fingerte dabei eine Packung Zigaretten aus der Brusttasche und fragte Femke, ob sie auch etwas möge. Sie bestellte ein Mineralwasser mit einer Extraportion Eiswürfeln und setzte sich neben Tjark in den Strandkorb, wo ihr die Sonne auf der Haut brannte.
    Femke blinzelte. »Alles in Ordnung?«
    Tjark schüttelte leicht den Kopf, steckte sich eine Zigarette an und griff nach der Kaffeetasse, die gerade erst von der Bedienung vor ihm auf den Tisch gestellt worden war. Er nippte daran. Ein leichter Film der Crema verblieb an seiner Oberlippe. Er wischte ihn nicht fort.
    Femke betrachtete das Wasserglas und verfolgte einige Tropfen, die daran herabliefen. Dann berichtete sie Tjark darüber, was ihr Eike Brarens erzählt hatte. Als sie fertig war, waren die Eiswürfel in ihrem Glas nahezu geschmolzen und der Wasserpegel darin erheblich angestiegen. Sie fasste danach, vorsichtig, um nichts zu verschütten, und trank das Glas in einem Zug bis zur Hälfte leer.
    Tjark schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er: »Der Ort spielt mit Sicherheit eine Rolle. Aber er muss nicht diese Rolle spielen.«
    »Aber …«
    »Nachdem ich mir meinen BMW gekauft hatte, sah ich plötzlich überall welche. Sie waren schon vorher da – ich habe sie nur nicht wahrgenommen, wenn du verstehst, was ich sagen will.«
    »Nein, das verstehe ich nicht.«
    »Meine Perspektive hatte sich geändert.«
    Femke antwortete nicht.
    »Wenn du ein Puzzle zusammensetzen willst, suchst du bewusst nach Teilen, die vielleicht passen. Es könnte Hunderte geben, aber nur eines tut es wirklich. Ich habe gerade eines in der Hand. Nun hast du mir ein neues Stück gezeigt, und ich muss es zunächst ein wenig betrachten. Ich frage mich, ob dein Ansatz in mein Schema passt. Das ist alles.« Tjark sah sie eine Weile an. Er schien über etwas nachzudenken. Dann sagte er: »Ich wirke manchmal wie ein Mistkerl, nicht?«
    »Gelegentlich.«
    »Ich verletze Menschen, die ich eigentlich mag.«
    Ein abschätziges Lächeln erschien auf Femkes Lippen. »Sollte das ein Kompliment werden?«
    »Möglicherweise.«
    Sie ging darüber hinweg. »Ich bin weder in der Sonderkommission noch bei der Kripo. Aber ich möchte der Sache mit dem Unglück von 1975 nachgehen.«
    »Gab es andere derartige Fälle in der Gegend?«
    »An den Küsten der Ost- und Nordsee befreit die Seenotrettung über tausend Menschen jährlich aus Gefahrenlagen. Vor vierzehn Tagen hat der Rettungshubschrauber eine unachtsame Familie auf Langeoog von der Sandbank abgeholt – die Flut hatte sie eingeschlossen, und ihre zwei Hunde waren in dem reißenden Priel ertrunken. Etwas Ähnliches ist im Mai einer Familie bei einer Wattwanderung auf Norderney passiert. Aber

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