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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Boden. Blieb die Frage, ob der Draht immer noch unter Spannung stand. Vikki erschauderte bei dem Gedanken daran, dass das nicht mehr der Fall sein könnte. Das hatte sie überhaupt nicht ins Kalkül gezogen. Der Mann wäre sicher nicht so dumm, ihr einen potenziellen Elektroschocker zu überlassen.
    Vikki atmete tief ein und aus und versuchte, ihre sich überschlagenden Gedanken zu sortieren. Der Mann wusste ja nicht, dass sie inzwischen den Kabelbinder zerschnitten hatte. Er würde davon ausgehen, dass ihre Hände auf den Rücken gebunden waren. Damit wäre es ihr nur schlecht möglich gewesen, das Kabel wie einen Taser zu verwenden. Dennoch zweifelte Vikki. Stünde der Draht nicht mehr unter Strom, würde ihre Hangelei zur Farce verkommen und nichts weiter geschehen, als dass der Dreckskerl nasse Füße bekam und Vikki wichtige Zeit verlor.
    Ihre Blicke folgten dem Verlauf des Kabels hin zu dem Kasten an der Wand. Sie machte einige Schritte darauf zu und betrachtete die Sicherungen und Schalter. Dicke graue Kabel verliefen nach oben und verschwanden in der Decke, von der kleine Tropfsteine herabhingen. Vikki sah verrostete Verteilerkappen und runde Anzeigen, die sie an alte Autotachos erinnerten. Auf einer stand Volt, auf der anderen Ampere. Die Zeiger hinter dem Schutzglas befanden sich am rechten Rand der Anzeige, was wohl bedeutete, dass die Anlage unter Spannung stand – kein Wunder: Es brannte ja auch das Deckenlicht. An anderen Anzeigen war das Schutzglas zerschlagen und keine Zeiger mehr zu erkennen. Dazwischen befanden sich Drehschalter und etwas, was an Sicherungen erinnerte. Im Gegensatz zum Rest des Schaltkastens wirkte diese Installation neu. Auch ein aufgeschraubtes Schaltrelais sah nicht alt aus. An diesem Relais waren die Kabel der Schlinge befestigt.
    Doch wenn sie ehrlich war, hätte sie genauso gut vor dem Steuerpult des Raumschiffs Enterprise stehen können: Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was die Verkabelung, die Schalter und Sicherungen bedeuten mochten. Ihr war aber klar, dass es nur drei Möglichkeiten gab, um zu überprüfen, ob die Schlinge unter Spannung stand.
    Möglichkeit eins war, es im Selbstversuch auszuprobieren. Vikki wusste aus leidvoller Erfahrung, wie schmerzhaft das war. Zudem konnte ein solcher Stromschlag sie für unbestimmte Zeit ausknocken, und wenn sie wieder aufwachte, stand vielleicht schon ihr Mörder vor ihr. Das Risiko konnte sie nicht eingehen.
    An den Schaltern herumzudrehen und zu testen, ob das Licht ausging, war die zweite Alternative. Augenscheinlich hatte der Mann an der Elektrik herumgebastelt. Es war denkbar, dass die Schlinge und das Licht am selben Stromkreis hingen. Der Drehregler suggerierte, dass damit die Spannung wie ein Dimmer herabgeregelt werden konnte. Falls das so war, würde das Licht schwächer und schwächer werden, wenn Vikki den Regler betätigte. Bei geringerer Spannung gäbe es wohl nur einen leichten Schlag, den sie in einem Selbstversuch locker wegstecken konnte. Aber vielleicht täuschte sie sich. Es stellte sich zudem grundsätzlich die Frage, wie der Mann den Regler eingestellt hatte – die Stromschläge waren jeweils stark genug gewesen, um Vikki ins Reich der Träume zu befördern, aber nicht stark genug, um sie zu töten. Außerdem bestand die Gefahr, dass es einen Kurzschluss gab, wenn sie an der Elektrik herumspielte. Vikki müsste dann in absoluter Dunkelheit auf das Ende ihres Lebens warten und würde kaum eine Chance haben, den Mann zu überwältigen.
    Variante drei war die einfachste: beten und hoffen, dass die Schlinge immer noch unter Spannung stand und dass diese für ihre Zwecke in Kombination mit dem Wasser ausreichend stark sein würde, um den Kerl zu erledigen. Das Beten, überlegte Vikki, hatte ihr im Leben bislang nicht viel geholfen. Aber die Hoffnung hatte sie noch nie aufgegeben. Sie starb zuletzt. Also ging Vikki zurück zu der alten Munitionskiste, setzte sich darauf und wartete auf ihren Mörder.

56
    Femke saß in der Teeküche und ging die Meldungen durch. Torsten war in der Nacht unterwegs gewesen, weil einige Kühe von der Weide ausgebrochen waren. Am Morgen hatte es außerdem einen Verkehrsunfall gegeben – nicht mehr als ein Blechschaden – sowie einen Unfall mit Fahrerflucht: Auf dem Supermarktparkplatz war jemandem der Außenspiegel abgefahren worden. Sie selbst war seit halb neun damit beschäftigt gewesen, einen Unfall aufzunehmen, der sich an der Schule ereignet hatte: Ein Junge war mit

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