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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Zusammenkunft angesetzt war – und sie hatte die sehr starke Vermutung, dass Tjark sich ebenfalls dort befand, Ruven bestimmt auch.
    Auf der Liste waren einige Daten markiert. Daneben befanden sich handschriftliche Notizen. Nachdem Femke sie entschlüsselt hatte, verstand sie, dass einige Feiern bei Mommsen mit den Zeitpunkten des Verschwindens der bekannten Opfer und den wahrscheinlichen Todesdaten der Frauen korrespondierten. Darauf war Tjark also aus. Aber er hatte auch von einer Konstante gesprochen und von Gelegenheiten. Vielleicht war der Nebel diese Konstante und die Feiern die Gelegenheit. Wenn an den fraglichen Zeitpunkten Nebel geherrscht hatte, dann könnte man daraus vielleicht ableiten, wann der Mörder mutmaßlich wieder zuschlagen würde, und ihm eine Falle stellen. Vielleicht war heute dieser Tag. Vielleicht würde Vikki, falls sie noch lebte, heute sterben – oder sich der Killer ein weiteres Opfer suchen …
    In ihrem Magen begann eine Kartoffel heiß wie ein Brikett zu glühen.

62
    Vikki wartete nicht lange ab. Als die Tür geöffnet und der Mann eingetreten war, spannte sie den Körper an und stieß das Fass um. Klatschend ergoss sich das Wasser auf den Boden. Noch bevor der Mann reagieren konnte, strömte es um seine Schuhe und schwappte über die Stromschlinge.
    Vikki baumelte an den Rohren unter der Decke. Mit Erschrecken stellte sie fest, dass nichts weiter geschah. Kein Stromschlag, kein Kurzschluss. Gar nichts. Der Mann stand einfach da, breitbeinig und abwartend. Er betrachtete das Nass auf dem Boden. Also war wohl doch keine Spannung mehr auf der Schlinge – oder aber die Springerstiefel des Mistkerls isolierten den Strom, was sie nicht ins Kalkül gezogen hatte. Sie selbst war barfuß, und wenn nun fast der ganze Boden unter Spannung stünde, schränkte das sowohl ihre Bewegungsfreiheit als auch ihre Alternativpläne massiv ein. Das Dumme war: Es ließ sich einfach nicht feststellen, was mit dem verdammten Strom los war.
    Dafür wurde ihr sehr schnell deutlich, was mit dem Mann los war. Er stieß einen wütenden Schrei aus und geriet schon im nächsten Moment in Bewegung. Seine weit ausladenden Schritte patschten im Wasser. Die Hände streckten sich nach Vikki aus, der das Herz bis zum Hals schlug. Sie ließ die Eisenrohre los und landete in der Hocke auf der Holzkiste. Ihre Hand schnellte nach rechts, wo sie den Griff der Chemietoilette zu fassen bekam.
    Der Mann sprang über das Fass. Dann war er bei ihr.
    Mit einem lauten Keuchen schwang Vikki den Behälter in einem Bogen und legte den ganzen Körper in den Schlag. Leider traf sie nicht richtig und erwischte den Mann an der Schulter. Doch er taumelte, strauchelte und bekam Vikki nicht zu fassen.
    Sie wirbelte herum, griff nun mit beiden Händen nach dem Plastikkasten und holte zu einem weiteren Schwung aus. Doch ein Tritt in die Magengrube stoppte sie. Es fühlte sich an, als sei sie von einem Rammbock getroffen worden, der ihre Lungen zur Größe einer Kinderfaust zusammenpresste.
    Wie eine Puppe flog Vikki durch den Raum und begriff in dem Moment, dass sie verloren hatte. Mit dem Rücken landete sie auf dem nassen Beton. Sie öffnete die Augen und erkannte den Mann. Er stand am Schaltkasten und drehte an einem Regler. Als den Bruchteil einer Sekunde später ein heftiger Schlag ihren Körper unkontrolliert zucken ließ, verstand sie, dass er sie mit ihrem eigenen Plan geschlagen und dass die Schlinge zunächst doch nicht unter Strom gestanden hatte, jetzt aber schon. Dann verlor sie das Bewusstsein.

63
    Gerret Clausen saß auf seiner Bank vor dem kleinen Pavillon, der sich Hafenmeisterei nannte. Er stopfte seine Pfeife, blinzelte ab und zu aus leuchtend grünen Augen, die tief im zerfurchten Gesicht vergraben waren, und hörte Femke mit stoischer Gelassenheit zu.
    Clausen trug ein Polohemd mit einem Aufdruck des Werlesieler Yachtclubs und der Stadtverwaltung. Entweder schien ihm der eiskalte Wind nichts auszumachen, oder er ignorierte ihn schlichtweg. Femke tippte auf Letzteres: Als Hafenmeister war Clausen mit seinen fünfundsechzig Jahren nicht nur für die Segelboote, Yachten und Fischkutter zuständig, er war auch Vormann des Seenotrettungskreuzers, der im großen Fährhafen einige Ortschaften weiter vor Anker lag. Als solcher hatte er ohne Frage schon ganz anderes Wetter erlebt. Zu Clausens Füßen lag sein Hund Fiete – eine undefinierbare Promenadenmischung – und schaute gelangweilt drein. Den Touristen erzählte

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