Dünengrab
Mörder aus der Gegend stammen musste. Es war kaum vorstellbar, dass jemand von außerhalb am Radar auf den Nebel lauerte und eigens dazu anreiste. Femke war nun mehr denn je davon überzeugt, dass die Morde mit dem Unglück von 1975 zusammenhängen mussten: Damals war der Mörder im eisigen Nebel geboren worden.
Femke bedankte sich bei Korf und gab Clausen das Handy zurück. Ihre Hand zitterte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Clausen. »Du siehst aus, als wäre dir gerade der Klabautermann persönlich begegnet.«
»Vielleicht ist er das«, antwortete Femke leise.
»Ich verstehe das zwar nicht, aber: Dann sieh dich mal besser vor.« Clausen sah besorgt aus.
»Werde ich.«
Sie bedankte sich und wandte sich zum Gehen. Sie musste unbedingt mit Tjark sprechen.
»Komisch übrigens«, rief Clausen ihr hinterher, »dass du mich gar nicht nach heute fragst, mein Mädchen.«
Femke drehte sich um. »Heute?«
»Es war den ganzen Tag heiß. Jetzt ist die Luft eiskalt. Woher kommt das wohl?«
Femke blickte Clausen an. Verdammt, sie hatte vorhin schon darüber nachgedacht. In ihrem Inneren loderte eine Flamme auf.
»Ich hatte heute Mittag schon so ein Gefühl im großen Zeh, dass da was aufzieht, und habe einige Segler gewarnt«, fuhr Clausen fort. »Auf dem Radar kann man die Front nun seit zwei Stunden erkennen. Der Wind treibt sie schnell vor sich her.« Er deutete hinter sich.
Femke hob den Blick und sah zur Hafenausfahrt. Ihr war nicht aufgefallen, wie viele Boote gerade dabei waren, einzulaufen – als wollten sie vor etwas fliehen.
Das verbleibende Tageslicht schien wie durch eine Milchglasscheibe auf die Fahrrinne. Der Schlick links und rechts wirkte in der Ferne, als würde er dampfen. Die Inseln waren bereits von dem leuchtenden Weiß verschluckt worden, das sich wie eine mehrere hundert Meter starke Decke aus Watte auf die Nordsee gelegt hatte – als sei eine komplette Wolkenfront abgestürzt, die jetzt über das Meer kroch und direkt auf Werlesiel zuhielt.
Femke wollte gerade ihr Telefon ziehen, als es klingelte. Reents. Er warte in der Wache auf sie, weil er die Negative und Abzüge gefunden hatte. Wo sie denn bliebe. Zwar war etwas anderes abgesprochen gewesen, aber Femke sagte, sie werde sofort kommen. Sie verabschiedete sich von Clausen und lief zum Wagen. Beim Einsteigen wählte sie Tjarks Nummer. Es war besetzt. Sie würde es gleich noch einmal versuchen. Dann fuhr sie los.
64
Der späte Nachmittag und der frühe Abend waren verstrichen. Es war noch nicht dunkel, aber auch nicht mehr hell. Tjark beugte sich leicht vor, drehte an einem Rädchen zur Feinjustierung und schaltete die Empfindlichkeitsstufe höher. Dann war das Bild wieder stabil.
Das Bushnell StealthView war ein digitales Nachtsichtgerät und ähnelte einem Fernglas. Tjark hatte es vor etwa zwei Jahren im Internet für einen vergleichbaren Einsatz gekauft, bei dem offizielle Ausrüstung nicht zum Tragen kommen durfte. Am Stativgewinde war das Bushnell mit einem Tripod-Stativ befestigt und stand auf dem Armaturenbrett des BMW . Er parkte in einem Feldweg etwa zweihundert Meter von der Einfahrt zum Firmengelände der Brauerei entfernt. Die Okulare waren darauf ausgerichtet und der Videoausgang des Nachtsichtgerätes an einen Laptop angeschlossen, der sich auf dem Schoß von Fred befand. Das Display beleuchtete sein Gesicht von unten, was ihn etwas unheimlich aussehen ließ. Gerade bog ein Wagen auf das Areal ab. Fred wartete, bis das Heck der dunklen Audi-Limousine ins Sichtfeld geriet, und machte dann einen hochauflösenden Screenshot.
»Der Wagen kommt aus Bremen«, sagte er. »Sieht aus wie ein Firmenfahrzeug mit Logo an der Kennzeichenhalterung. Weller-Bau.«
Tjark hatte ebenfalls einen Laptop auf den Knien – ein leichtes Airbook, das kaum größer als ein Tablet-Computer war. Er tippte »Weller-Bau« in die Suchmaske von Google ein und wartete, bis die Internetfunkverbindung die komplette Firmenseite geladen hatte. Sein Smartphone lag neben ihm auf der Mittelkonsole und gab leise ein krächzendes Stimmengewirr von sich. Im Videofenster streamte das Gerät Bilder und Töne aus dem Inneren der Brauerei. Im Moment war aber nur Schwarz auf dem Display zu sehen, weil das Gegenstück in Ceylans Tasche steckte.
Ceylan war eben an der Seite von Ruven erschienen. Jeder würde annehmen, dass sie eine seiner Mitarbeiterinnen war. Das war jedenfalls der Plan. Ruven hatte gesagt, er werde die Polizei selbstverständlich unterstützen, als
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