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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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müssen, verflucht. Andererseits befand sie sich in einer Ausnahmesituation. Femke hatte gerade erkannt, dass sie womöglich jahrelang mit einem Serienmörder zusammengelebt hatte, ohne den blassesten Schimmer davon zu haben. Vielleicht war sie deswegen kurz vorm Durchdrehen. Ruven war eben aufgebrochen, weil ihn ein Notruf ereilt hatte – womöglich, weil an seinem eigenen Haus die Alarmanlage ausgelöst worden war, und zwar von Femke. Vielleicht hatte sie das bewusst getan, um Ruven zu sich zu locken. Nicht gut. Denn wenn es sich bei Ruven wirklich um den Täter handeln sollte, wovon Tjark längst nicht überzeugt war, hatte sich Femke in allergrößte Gefahr gebracht. War sie hingegen zum Racheengel mutiert und Ruven unschuldig, gab es ein ganz anderes Problem: Femke könnte bereit dazu sein, etwas sehr Dummes zu tun.
    Die Gedanken schwirrten Tjark durch den Kopf. Über die Angst um Femke geriet die Sorge um Vikki ins Hintertreffen, denn nach wie vor blieb die Frage offen: Wo war sie, und lebte sie noch? Wenn Femke zumindest damit recht hatte, dass der Mörder stets im Nebel zuschlug, wäre dann heute der Tag, an dem Vikki sterben musste? Falls die Theorie zutraf, dass alles auf dem schrecklichen Unglück von 1975 basierte, dann …
    Tjark klappte der Kiefer herunter, als plötzlich einige Zahnräder einrasteten. Er schlug erneut mit dem Handballen auf das Lenkrad, worauf der BMW einen bedrohlichen Schlenker machte, und rief: »Verdammt! Idiot! Idiot!« und stöhnte über sich selbst.
    Der Fundort der Frauenleichen in den Dünen war identisch mit dem Fundort des toten Mädchens. In den Polizeiakten von damals hatte er gelesen, dass man den Jungen nach dem Unglück verängstigt an einem bestimmten Ort aufgegriffen hatte: nahe einem alten Wehrmachtsbunker! Tjark schlug nochmals mit dem Handballen aufs Lenkrad. Er erinnerte sich an das Protokoll: Der Bunker war nicht weit von dem Priel entfernt. Eine verlassene Flak- und Radarstellung, die in einem ehemaligen, abgesperrten Übungsgelände der Bundesmarine unweit von Werlesiel lag. Tjark hatte das Gelände jenseits der Brauerei sogar selbst gesehen, als er mit Ruven auf dem Boot unterwegs gewesen war. Das war der perfekte Ort, und er stand im direkten Kontext zu den Leichenfundorten!
    »Idiot, Idiot, Idiot«, zischte Tjark und griff nach seinem Telefon. Er wählte Freds Nummer.
    Sekunden später versuchte er Fred in aller Kürze zu erklären, was los war, und forderte ihn auf, sich sofort mit Ceylan zu dem alten Bunker zu begeben.
    »Wir stehen auf dem Parkplatz und haben keinen Wagen und keine Ahnung, wo dieser Bunker sein soll.«
    »Ruf auf der Wache an. Die wissen, wo das ist, und sollen einen Wagen schicken, von mir aus auch fünfzig Wagen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob die Kollegen wie dieser Torsten-Heini in der Lage sind, den eigenen Hintern zu finden. Außerdem ist Nebel. Das macht es nicht leichter.«
    »Egal«, sagte Tjark und legte auf. Er warf das Handy, dessen Akku von der langen Standleitung mit Ceylan fast leer war, auf den Beifahrersitz und fluchte weiter über sich selbst.
    Verdammt, er hatte sich viel zu sehr auf Mommsen eingeschossen und war nicht mehr offen geblieben. Und warum? Weil Mommsen ein Dreckskerl war, weil Tjark ihn bluten sehen wollte, weil er all seine Wut auf das eine Ziel fokussiert hatte – all seine Wut über die Machtlosigkeit, die ihn so oft apathisch am Rande stehen ließ, verdammt dazu, dem Spiel der Bösen zuzusehen, ohne es aufhalten zu können. Das Gleiche galt für den Krebs, der seinen Vater Stück für Stück auffraß und Tjark zu einer Randfigur verdammte, die …
    Für einen Moment gab Tjark nicht richtig acht und verpasste beinahe eine scharfe Kurve. Erst im allerletzten Moment tauchten in dem dichten, weißen Dunst die rot-weiß gestreiften Warnschilder vor ihm auf. Er riss das Steuer herum und trat auf die Bremse. Das Heck brach aus und touchierte mit einem Krachen die Beschilderung. Der BMW geriet ins Schlingern. Tjark wusste in dem dichten Nebel mit einem Mal nicht mehr, wo hinten und wo vorne, wo oben und wo unten war.

73
    Femke hörte, dass oben die Tür geöffnet wurde. Zwei kurze Schritte, ein Moment lang kein Geräusch. Sicher wurde gerade die Alarmanlage ausgeschaltet, und sicher hatte Ruven ihren Dienstwagen vor dem Haus gesehen. Er wusste, dass Femke im Haus war.
    »Femke?«
    Sie hörte seine Stimme gedämpft durch die verschlossene Tür. Verdammt, dachte Femke. Sie hätte Ruven oben in Empfang nehmen

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