Dünengrab
wischte sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nase. »Dann wird Wolf weiter das tun, wozu Sie ihn hergeschickt haben, nämlich nach der vermissten Vikki Rickmers fahnden, bis ein offizieller Kommissionsleiter eingesetzt ist.«
»Ich sehe nicht …«, antwortete Berndtsen zögernd.
Verhoeven fiel ihm ins Wort. »Was ich sehe, ist, dass Sie flexibler agieren und entgegenkommender sein sollten, Berndtsen. Wir können das auch alles anders regeln, und dann sind Sie komplett draußen.«
Der Preiselbeerfleck zuckte.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Damit beendete Verhoeven die Videokonferenz, trank einen Schluck Tee und wandte sich an Tjark. »Ihr Abteilungsleiter mag Sie nicht sonderlich.«
»Nein. Tut er nicht.«
»Diese Sache, von der er gesprochen hat: Wie ernst ist das?«
»So ernst, wie Hauke Berndtsen sie nimmt. Und die Staatsanwaltschaft.«
»Ah ja.« Verhoeven machte sich eine Notiz. »Noch etwas, was ich dazu wissen müsste?«
»Ich führe aus freien Stücken Gespräche mit einem unserer Psychologen für ein Gutachten. Mein persönliches Ziel ist, dass sich niemand mehr zu hart behandelt fühlen muss, wenn er sich einer Verhaftung tätlich widersetzt und ich darauf körperlich reagieren muss.«
Verhoeven lächelte ein wenig. »Sehr gut.« Er klickte nachdenklich mit dem Kugelschreiber. »Setzen Sie Ihre Arbeit fort. Ich werde alles Weitere klären. Halten Sie sich für eine Pressekonferenz heute Mittag bereit.«
»Ich?«
»Ja«, antwortete Verhoeven regungslos. »Ich möchte, dass Sie der Presse schildern, wie Sie bei der Vermisstensuche auf die Toten gestoßen sind.«
Verhoeven war gerissen, dachte Tjark. Er wollte die PK als Vehikel nutzen, um Tjark als bisherigen Ermittlungsleiter darzustellen. Er wollte Tjarks Namen auf den Titelseiten lesen. Danach wäre es ohne Gesichtsverlust kaum möglich, Tjark wieder abzuziehen. Die Frage war nur, ob er dabei mitspielte. Natürlich würde er das.
Tjark sagte: »Berndtsen wird das nicht gefallen.«
»Berndtsen«, sagte Verhoeven und wischte mit der flachen Hand über den Tisch, »spielt hier doch überhaupt keine Rolle.«
25
Femke schwang sich vom Fahrrad. Dann klemmte sie den Vorderreifen in den Fahrradständer vor der Geschäftsstelle des Wittmunder Echos und nahm ihren blauen Fahrradhelm ab. Die kleine Zeitung erschien mit einer Auflage von vierzigtausend Exemplaren in der Küstenregion und unterhielt drei Lokalredaktionen sowie eine Reihe fester freier Mitarbeiter auf den Inseln.
Die Werlesieler Geschäftsstelle befand sich im Erdgeschoss eines rotgeklinkerten Geschäftshauses, in dem auch eine Apotheke, zwei Versicherungen und ein Augenarzt Räume angemietet hatten. Hinter dem Empfangsbereich, in dem man Tickets für Konzerte buchen, Anzeigen aufgeben oder in Zeitungsbänden blättern konnte, befand sich die Redaktion. Sie bestand im Wesentlichen aus einem Büro mit zwei Schreibtischen und zwei iMacs, von denen einer ausgeschaltet war. Hinter dem anderen saß Janine Ruwe, die Redakteurin, mit der Femke vorhin telefoniert hatte.
Ruwe hätte man eher bei einem Szeneblatt vermutet. Sie war Mitte dreißig, hatte buschige Korkenzieherlocken und trug eine zerschossene Jeans, die ihre breiten Hüften zu sehr betonte, sowie ein enges T-Shirt mit buntem Aufdruck. Femke hatte mit der Journalistin immer wieder beruflich zu tun und kannte sie außerdem vom Reitstall, wo sie sich ab und zu ein Pferd lieh.
Die Reporterin hob die Hand zum Gruß. »Hallo, Frau Folkmer.«
Femke lächelte und hob ebenfalls die Hand, um mit den Fingern zu winken. Mit denen der linken Hand.
»Die Bilder liegen alle in einem Ordner auf unserem Server«, erklärte Janine Ruwe, beugte sich umständlich über den Schreibtisch und stellte den zweiten Computer an.
»Auch die, die nicht in der Online-Galerie waren?«
»Ja, alle, die wir beim Matjesfest gemacht haben.« Sie verharrte in der Bewegung, während das Betriebssystem hochfuhr. Femke zwang sich, nicht in den gewaltigen Ausschnitt zu blicken. Sie betrachtete die grünlich wirkenden Wände, merkte, dass sie immer noch die Pilotensonnenbrille trug, und nahm sie ab.
»Was gibt es denn Neues von den Leichenfunden?«
»Sobald es etwas Neues gibt, werden Sie das als Erste erfahren.«
»Stimmt es, dass das alles Frauen waren?«
Woher wusste die Presse das denn schon wieder? Femke setzte sich an den Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm-Hintergrund, der eine Küstenlandschaft und das darüber schwebende
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