Dünengrab
fuhr Berndtsen fort. »Er hat außerdem einen Besitzschein für eine Jagdwaffe, möglicherweise einen Jagdschein, und er begreift sich als Jäger – vielleicht auch als Heger und Pfleger. Als solcher hat er es sich auf die Fahnen geschrieben, sein Umfeld sauber zu halten und Abschaum zu beseitigen. Er jagt in seiner Komfortzone, und zwar in seinem Wohnumfeld, das folglich in der Wilhelmshavener Gegend wäre. Sein Rückzugsort ist vielleicht eine Jagdhütte in Küstennähe. Dort hat er wahrscheinlich auch ein Revier gepachtet.«
An der Sache konnte etwas dran sein. Es war nicht von der Hand zu weisen. Berndtsens Theorie war gut.
»Es könnte andere Ansätze geben«, sagte Tjark.
»Nur zu, Wolf, lass uns teilhaben. Wir wollen nicht erst warten, bis du sie im nächsten Buch präsentierst.« Einige lachten. Tjark nicht. Berndtsen machte eine auffordernde Geste. »Ich höre?«
»Der Täter könnte bei einem Paketdienst arbeiten und die Strecke über Werlesiel regelmäßig abfahren. Daher kennt er den Küstenstreifen. In seinen Pausen hat er Vikki Rickmers getroffen. Möglicherweise kennt er Werlesiel auch als einen Ferienort oder den Küstenstreifen, weil sein Hobby Vogelkunde ist und er an der Küste – wie viele andere Hobbyornithologen – seiner Leidenschaft nachgeht.«
»Ein Vogelkundler?« Berndtsen schmunzelte.
»Ein Jäger?«, fragte Tjark zurück. Fred starrte auf seine Schuhe. Tjark schraubte eine Mineralwasserflasche auf und nahm einen tiefen Schluck. »Vikki Rickmers war nicht bei dem Dienst gelistet. Sie stammt nicht von außerhalb wie die anderen.«
»Vikki Rickmers«, sagte Berndtsen, »könnte lediglich das Opfer einer Unfallflucht sein.«
Wieder spürte Tjark Femkes Blicke. »Laut Spurensicherung gab es keine Hinweise auf einen Unfall.«
»Keine Splitter und solche Sachen, meinst du.«
»Stimmt.«
»Weil der Wagen sie seitlich erwischt hat und nicht frontal. Sie lief vielleicht im Nebel betrunken und zugekifft nach Hause und wurde angefahren. Der Unfallfahrer hat sie bei Fokko Broer eingeladen, um seine Tat zu verschleiern oder sie zum Arzt zu bringen. Broer hat die Geschehnisse überinterpretiert, um sich wichtig zu machen.«
»Es wurde bei keinem Arzt und in keiner Klinik eine Vikki Rickmers behandelt.«
»Vielleicht war der Fahrer selbst Arzt.«
»Warum ist sie dann verschwunden? Wo ist sie jetzt?«
»Vielleicht hat der Fahrer ihr Geld gegeben, damit sie wegen des Unfalls die Klappe hält, weil er betrunken war. Möglicherweise viel Geld, dass sie so lange bei ihm bleibt, bis ihre Blessuren verheilt sind, oder sie sich wenigstens aus Werlesiel fernhält, damit niemand unangenehme Fragen stellt.«
Tjark wollte nachhaken, warum sie sich dann nicht wenigstens bei ihrer Mitbewohnerin Meike Schröder gemeldet habe. Aber es war zwecklos. Berndtsen machte seinen eigenen Film.
Berndtsen fuhr fort: »Beim besten Willen, Tjark: Wir haben eine halbe Hundertschaft vergeblich nach einem möglichen Unfallopfer suchen lassen, und zwar lediglich mit dem vagen Verdacht auf eine Straftat. Wir haben hingegen drei Leichen gefunden mit dem sehr konkreten Verdacht auf Straftaten.«
»Richtig«, antwortete Tjark. »Allerdings lassen sich die Spuren am mutmaßlichen Unfallort auch anders deuten, denn …«
Berndtsen fiel ihm ins Wort. »Fred und du werdet vor Ort bleiben und die Sache mit Vikki Rickmers klären. Vielleicht gehört sie zu unserem Fall, vielleicht ist sie ein eigener Fall, was ich für wahrscheinlicher halte. Ansonsten werden wir den Ermittlungsschwerpunkt in den Bereich um Wilhelmshaven verschieben.« Er sah zu Dr. Verhoeven, der die Aussage mit einem Nicken bestätigte. »Wir verfügen in diesem Provisorium«, Berndtsen blickte sich in dem Sitzungssaal um, »außerdem nicht über die hinreichenden technischen Mittel, zu wenige Telefone, schwache Internetleitungen und zu lange Wege und letztlich zu hohe Kosten. Dafür haben wir nicht das Budget, und vorläufig sind alle Befragungen abgeschlossen. Ich werde die Soko daher abziehen und in die Hauptstelle verlegen, wo wir erheblich besser ausgestattet sind.«
Tjark überraschte das nicht. Genau genommen hatte er damit sogar gerechnet. Er sagte: »Ich würde aber empfehlen, das offensiv in der Presse bekanntzugeben und vor allem die Gründe auszuführen. Das wird den Täter verunsichern und unter Druck setzen, falls er sich in der Wilhelmshavener Gegend aufhält. Die Polizei rückt ihm damit näher auf die Pelle.«
»Guter Punkt.«
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