Dünengrab
legen es darauf an, sich Ärger an den Hals zu laden.«
»Überschätzen Sie sich nicht.«
»Das ist nicht mein Stil.«
»Ich danke Ihnen für das Gespräch.«
Tjark stand wortlos auf, nahm seinen Block und ging. Fred folgte ihm. Draußen auf dem Parkplatz zog Tjark die Zigarettenschachtel aus der Brusttasche, steckte sich eine an, inhalierte tief und bekam einen Hustenanfall. Als er vorüber war, wischte er sich mit dem Handballen eine Träne aus dem Augenwinkel. Dabei sah er, wie zwei Brauereimitarbeiter eine graue Abdeckplane über einen Anhänger spannten. Sie sah neu und sauber aus – wie eine Abdeckplane, die womöglich in China in der Provinz Shandong von der Firma Hitec Zhangtsu Suppliers gefertigt worden war.
»Wir müssen Mommsen vorladen«, sagte Tjark und klemmte sich die Zigarette zwischen die Zähne. »Wir müssen uns das Taxiunternehmen vorknöpfen.«
Fred antwortete: »Wenn wir Mommsen vorladen, wird er nicht kommen. Wenn wir einen Gang höher schalten wollen, werden der Staatsanwalt und der Richter fragen: Was habt ihr in der Hand? Die Sache mit dem Taxiunternehmen kann uns hingegen weiterbringen.«
Tjark nickte. Natürlich wusste er das. Dennoch würde er sich den Kerl vornehmen. Und zwar nach allen Regeln der Kunst.
44
Volker ließ Justin an der Longe laufen. Der Sand auf dem Abreitplatz staubte. Dann ließ er Justin stehen, betrachtete ihn von allen Seiten und begutachtete seine Körperstellung, kniete sich hin, betastete seine Kniegelenke, besah sich die Hufe und machte an jedem Gelenk eine Beugeprobe. Justin schnaubte, als wolle er dem Tierarzt zustimmen, dass sich genau hier das Problem befand. Schließlich stand Volker wieder auf, führte den Wallach zum Gatter und machte ein besorgtes Gesicht. Femkes Herz tat einen Sprung. Volker wickelte den Führstrick um einen wettergegerbten Zaunpfahl. Justin schnaubte zu Femke und streckte den Kopf in Erwartung eines Leckerchens nach vorne. Femke ließ sich nicht zwei Mal bitten, zog einige Kekse aus der Tasche ihrer Uniformhose und hielt sie dem Pferd mit offener Hand hin. Im nächsten Moment spürte sie seine weichen Lippen und seinen warmen Atem auf der Haut.
»Tja, ein Schiet ist das«, sagte Volker, nahm seine Kappe ab und kratzte sich am Hinterkopf. Er klopfte Justin den Hals. »Der alte Knabe hat in der Tat ein Problem.«
Femke schluckte. Sie sah Justin in die braunen Augen mit den schier endlos langen Wimpern. So sieht’s nun mal aus, Chefin, schien sein Blick ihr bedeuten zu wollen. »Was genau«, fragte sie, »heißt das?«
Volker setzte die Kappe wieder auf. »Ich denke, es ist eine Hufrollenentzündung, und das kann auch eine chronische sein. Er lahmt. Pferde mit einer Strahlbeinerkrankung stellen die Beine oft nach vorne, weil das den Schmerz lindert. Wenn er den Vorderfuß anders stellt, vermindert das den Druck der tiefen Beugesehne auf den Knochen. Das Ganze hat mit Abnutzungserscheinungen zu tun – zum Beispiel durch Überbeanspruchung bei jüngeren Pferden im Springsport, durch Veranlagung oder eben wegen des Alters.«
»Bist du sicher?«
»Das ist nicht die erste Hufrolle, die ich sehe. Wenn ich hundertprozentig sichergehen wollte, müsste ich ihm Schmerzmittel spritzen und beobachten, wie er dann läuft und ob er nicht mehr lahmt. Ich kann mir die Sehnen und Bänder mit Ultraschall ansehen, ihn röntgen, ein CT oder eine Kernspintomografie machen. Das ist nicht preiswert, und du musst dich fragen, ob du ihm das zumuten willst.«
Femke sog die Luft scharf durch die Nase ein.
»Spar dir das Geld und ihm den Stress«, riet Volker. »Manchmal kommt der Punkt, an dem du loslassen musst. Wir können seinen Beschlag ändern. Ich kann ihm Aufbauspritzen in den Huf geben, aber …« Er winkte ab. »Ab und zu noch mal ein Ausritt könnte drin sein. Wenn das alles nichts hilft, können wir einen Nervenschnitt machen. Dann wäre er fällig für das Gnadenbrot, weil er beim Ausreiten nicht mehr spüren würde, wenn er auf einen Stein tritt. Er könnte umknicken und mit dir stürzen.« Volker öffnete das Gatter, legte Femke die Hand auf die Schulter und drückte sie ein wenig. »Gib mir Bescheid, was du machen möchtest. Und nimm’s nicht zu schwer. Die Zeit bringt nun mal Veränderungen mit sich.«
»Ja«, sagte Femke, »das kannst du wohl laut sagen.«
Volker wiederholte es laut. Femke musste lachen. Er zwinkerte ihr zu. »So gefällt mir das schon besser«, sagte er im Gehen und hob die Hand zum Gruß.
»Danke«, rief
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