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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Ganz schön schaurig, was?«
    Femke hatte bereits eine Gänsehaut.
    »Es ist, als ob da jemand immer wieder das Mädchen hinlegen will. Na ja …« Er winkte ab und blickte in den Himmel. »Wird Zeit für mich, Femke.«
    »Danke, Eike. Ich fahr dich nach Hause. Es ist gleich dunkel.«
    Eike winkte unwirsch ab. »Die alten Beine tragen mich noch eine Weile.« Er schlurfte los und drückte Femke im Vorbeigehen am Oberarm. »Legg di, und deck di treck wat Oles över di.« Leg dich hin und ziehe was Altes über dich – das sagten die Senioren hier gelegentlich als süffisanten Nachtgruß.
    »Mache ich«, versprach Femke. Aber sie fuhr zunächst zur Polizeistation, um in den Archiven nach einer alten Akte von 1975 zu suchen, und schlief erst, als der Morgen bereits graute.

48
    Der Mann öffnete eine Tüte und warf ein belegtes Brötchen auf den Boden. Eine Plastikflasche Mineralwasser folgte. Sie rollte über den Beton und stieß schließlich gegen Vikkis Zehen, wo sie liegen blieb.
    »Iss«, sagte er. »Trink.«
    »Es wäre leichter, wenn meine Hände nicht gefesselt wären.«
    Vikki hatte es eben gerade noch geschafft, sich zurück in ihre Ecke zu setzen, den WC -Kasten vom Wasserfass wegzuschieben und die Arme hinter den Körper zu manövrieren, bevor er hereingekommen war. Nicht auszudenken, wenn er sie bei der Inspektion ihres Gefängnisses erwischt hätte.
    Er baute sich vor ihr auf und blickte durch die Strumpfmaske nach unten. »Du hast auch die anderen Sachen essen können, also stell dich nicht an. Sei dankbar, dass ich dir überhaupt etwas gebe.«
    »Danke«, sagte Vikki leise.
    Der Mann deutete auf das Brötchen. »Iss.«
    Er wollte sehen, wie Vikki wie ein Hund die Nahrung vom Boden zu sich nahm, und sich daran ergötzen. Nun, dachte Vikki, es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich erniedrigt. Männer, die auf solche Sachen abfuhren, waren nach ihrer Erfahrung schwach und unsicher – nicht alle, aber die meisten. Und es war ihr schon einmal gelungen, ihren Entführer zu verblüffen – und damit einen Teil der Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen zu können, wenn auch nur einen winzigen. Also sagte sie: »Nein.«
    »Iss«, wiederholte der Mann.
    »Sonst passiert was?«
    »Sonst werde ich mein Messer nehmen, dich in das Fass tauchen und dabei so lange mit der Klinge ficken, bis kein Blut mehr in dir ist oder du ertrunken bist«, antwortete er gelassen.
    »Wenn du mich töten wolltest«, entgegnete Vikki, gab sich alle Mühe, unbeeindruckt zu klingen, und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, »dann hättest du das längst getan. Und du würdest nie eine Antwort darauf erhalten, ob ich dich liebe.«
    »Du bist hart.«
    »Das Leben hat mir keine Wahl gelassen.«
    »Ich könnte auf die Idee kommen, zu überprüfen, wie hart du wirklich bist.«
    Vikki blinzelte in die Glühbirne und verdrängte den Gedanken daran, auf welche Art und Weise er diesen Test durchführen würde. »Du kannst mich jederzeit dazu zwingen, das Brötchen vom Boden aufzuessen. Das weiß ich.«
    Er nickte.
    »Aber das würde dir nur wenig Freude bereiten, weil es unter Zwang wäre. Du würdest meinen Willen nicht wirklich brechen. Es wäre anders, wenn ich es aus freien Stücken täte, um dir zu gefallen.«
    War da der Anflug eines Lächelns in dem verzerrten Gesicht wahrzunehmen? Wenn ja, was hatte es zu bedeuten?
    »Wenn ich dich lieben soll«, redete sie weiter, »dann braucht es zunächst einmal gegenseitigen Respekt. Wie kannst du mich respektieren, wenn ich vor deinen Augen vom Boden esse wie ein Schwein?«
    Der Mann verschränkte die Arme. Er wirkte amüsiert. Oder war das Nachdenklichkeit?
    »Du hast kürzlich meinen Namen erwähnt. Du weißt also, wer ich bin. Ich bin kein Tier, und ich bin auch keine Schlampe oder ein Gegenstand. Ich bin eine Person, Vikki Rickmers. Ich mag Blumen, ich mag Kinder, ich mag das Meer, ich kann gut singen …«
    Der Mann blickte wieder auf.
    Vikkis Stimme begann, sich zu überschlagen. Sie konnte es nicht verhindern. »Ich bin ein Mensch!«, rief sie. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Voller Wut stieß sie die Wasserflasche von sich und schrie den Mann an. »Warum tust du mir das an? Was willst du von mir? Warum ich? Warum ich? Lass mich gehen! Lass mich leben! Bitte!«
    Der Mann blickte der Flasche hinterher. Dann sah er zu Vikki. »Dass du noch lebst, verdankst du einem Zufall. Ich kann dich im Moment nicht töten – und ich muss sagen: Das gefällt mir sogar, denn so kann ich

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