Dünengrab
soll dringend mit dir darüber schnacken und das unbedingt anzeigen, aber er wollte nicht noch weiteren Ärger.«
Femke kickte einen weiteren Stein weg.
»Ich hab ihn dazu überredet, dass ich wenigstens dich mal anrufe, damit du dir das ansiehst.«
»Die Anzeige muss er gar nicht machen. Die schreibe ich selbst, und wenn ich die erwische, dann …« Femke ballte die Hände zu Fäusten. Ja, so schnell konnte es gehen, nicht? Sie dachte an Tjark und seine Verfahren wegen Körperverletzung im Einsatz. Sie hätte in der Tat große Lust gehabt, dem Schuldigen eine zu verpassen, und sich damit sicher nicht schlecht gefühlt. Natürlich ging das nicht, aber es war eine feine Linie zwischen Tun und Lassen, und man musste sich manchmal tatsächlich beherrschen, sie nicht zu überschreiten. Das war der Unterschied zwischen Tjark und ihr. Er hatte die Grenze aus dem Blick verloren, warum auch immer.
Femke griff in die Blousontasche und zog ihr Handy hervor.
Ruven fragte: »Brauchst du mich hier noch?«
Femke schüttelte den Kopf, schaltete in den Kameramodus und hielt das Handy hoch, um den Bildausschnitt richtig einzustellen. Es war noch nicht allzu dunkel. Sie ließ daher den Blitz aus.
»Schönes Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden.« Ruven klang vorwurfsvoll und öffnete die Autotür.
»Wie meinst du das?« Ein leises Klicken begleitete das Auslösen. Femke machte zur Sicherheit noch ein Bild, falls das erste verwackelt war.
»Man hört, du wolltest Werlesiel bald verlassen und zur Kripo gehen.«
»Man oder du?«
»Ich.«
»Von wem?« Blöde Frage. Das konnte ihm nur Tjark erzählt haben, als die zwei heute Nachmittag mit dem Boot rausgefahren waren. Ruven antwortete nicht.
»Ich weiß es noch nicht, Ruven.« Femke ging einige Schritte auf Fokkos Haus zu, um Detailaufnahmen von den Schriftzügen und den kaputten Fenstern zu machen.
»Na, da kann dein Freund, der Starautor, doch sicher etwas für dich tun?«
Daher wehte also der Wind. Eifersucht. Das konnte sie im Moment nun wirklich nicht brauchen. Femke stellte den Bildausschnitt ein. Das Wort »Mörder« füllte das Display aus. »Er«, antwortete Femke, »ist weder mein Freund, noch wird er irgendetwas für mich tun können. Dazu muss eine Sachbearbeiterstelle bei der Kripo ausgeschrieben sein.«
»Was ja nicht unmöglich ist.«
»Da hast du recht«, sagte Femke kalt und löste aus. »Was soll dieses Verhör, Ruven?«
Sie hörte seine Schlüssel klimpern. »Ich hatte mich nur gewundert, dass ich darüber gar nichts wusste.«
»Es gibt einiges, was du nicht weißt.« Femke drehte sich auf dem Absatz um. »Ich danke dir für alles, was du für mich tust – aber wir sind nicht mehr als gute Freunde, oder?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ja, klar.«
Femke hatte zwar ihre Zweifel, dass ihm das wirklich so klar war, nickte aber und fügte an: »Und danke, dass du mit dem Kollegen mit dem Boot rausgefahren bist.«
»Ich habe ihm eben noch ein paar Listen gemailt.«
»Super. Auf dich ist wirklich immer Verlass.« Sie schenkte Ruven ein Lächeln, der nicht zurücklächelte, aber die Hand zum Gruß hob, nun endgültig einstieg und aus der Ausfahrt fuhr.
Femke machte noch einige letzte Aufnahmen. Dann ging sie zurück zum Wagen, öffnete die Tür und griff nach dem Funkgerät, um Torsten in der Dienststelle zu kontaktieren.
»Torsten, ich bin gerade bei Fokko.«
Er fiel ihr direkt ins Wort. »Brauchst du Verstärkung, oder was? Ich bin alleine, und wenn ihr den jetzt festnehmen wollt …«
»Keiner nimmt Fokko fest, Menschenskind.« Femke hätte es kaum noch gewundert, wenn Torsten diesen Leuten, die die Schmähungen an Broers Haus geschmiert hatten, die Sprühdose gesponsert hätte.
Kurz angebunden erklärte sie ihm, was passiert war und dass er eine Anzeige schreiben solle und eine Meldung an die Presse geben.
»Ja wie, ich jetzt?«
»Ja, du jetzt.«
Nach einigem Hin und Her entschied Femke schließlich, dass es doch besser wäre, alles selbst zu machen. Sie wünschte Torsten noch einen ruhigen Dienst und warf das Funkgerät zurück in den Wagen. »Meine Fresse«, fauchte sie und strich sich die Haare im Nacken zusammen, fummelte ein Gummiband aus der Hosentasche und band sich damit einen Zopf.
»Moin, mein Mädchen.«
Femkes Herz blieb fast stehen. Sie wirbelte herum. Vor ihr, wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand ein Mann. Er war kleiner als sie und hatte eine schmuddelige Kapitänsmütze auf. Die Haare darunter waren so schlohweiß wie die
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