Duenenmond
Verwunderung auf dem Pferderücken.
»Geht doch«, rief Jan fröhlich.
Jo atmete erleichtert aus und tätschelte Molly den seidigen Hals: »Danke, dass du keine Faxen gemacht hast!«
»Und jetzt ganz locker.« Jan zupfte ein wenig an den Zügeln und übte mit den Beinen kaum sichtbar Druck auf den Leib seines Hengstes aus. Der setzte sich in Bewegung und schritt elegant dahin. Jo zog ebenfalls kurz an den Zügeln, schon ging Molly gemächlich mit langen Schritten hinter ihrem Artgenossen her. Sie schlugen die östliche Richtung ein. Jo streckte das Kreuz durch und fühlte sich sehr elegant. Reiten war ja ganz einfach! Jetzt war es ihr überhaupt nicht mehr peinlich, sondern sie freute sich über die Blicke der Fußgänger. Schnellerreichten sie den Darßer Wald. Sie verließen den Asphalt und bewegten sich auf Sandboden. Das Laub spendete angenehmen Schatten, und es roch herrlich nach Kiefern. Jan gab ein Kommando, woraufhin Fritz, sein Hengst, in einen gleichmäßigen Trab wechselte.
»Komm, Molly, hinterher«, flüsterte Jo in das braune Ohr, das ständig in Bewegung war, sich ausrichtete oder Mücken verscheuchte. Sie zupfte an den Zügeln, klopfte mit den Oberschenkeln gegen das Tier, ohne Erfolg. Im Gegenteil: Molly blieb stehen und knabberte an einem blühenden Busch.
»Sie will nicht«, schrie Jo hinter Jan her, der sich rasch entfernte.
»Komm, Molly, lauf!«, schrie er zurück und drehte sich kurz um.
Molly zeigte sich gänzlich unbeeindruckt. Ihr schien es vorzüglich zu schmecken.
»Na los, lauf schon! Bitte!« Keine Reaktion. Zu allem Überfluss senkte die Stute nun auch noch den Kopf, um von dem saftigen Gras zu probieren, das am Wegesrand üppig wucherte. Dabei zog sie natürlich den Zügel mit sich, der Jo aus den Fingern glitt.
»Toll«, murrte Jo. Ganz so einfach war das mit dem Reiten anscheinend doch nicht. »Jan!«
Sie sah, wie er mit seinem Pferd langsamer wurde, umdrehte und zu ihr zurückkam.
»Der Zügel ist viel zu kurz. Wenn sie den Kopf neigt, kann ich den nicht halten.«
»Sie darf den Kopf nicht neigen«, erklärte Jan. Er sprang ab und reichte Jo den Lederriemen hoch. »Lass sie nicht fressenunterwegs. Erstens kommen wir dann nicht voran, und zweitens ist das nicht gut für sie. Sie bekommt nachher genug. Jetzt soll sie erst mal laufen.« Er tätschelte der Stute das Maul und schwang sich wieder auf seinen Hengst. »Okay, kleine Einführung.« Mit wenigen Worten und Gesten brachte er Jo bei, wie sie Molly zu einem Richtungs- oder Tempowechsel bringen konnte. »Mach keine ruckartigen Bewegungen. Du brauchst nie an einem Pferd herumzuzerren oder es anzuschreien. Wenn ihr euch erst mal aneinander gewöhnt habt, sollte es reichen, wenn du intensiv an das denkst, was du von ihr willst.«
»Aha«, erwiderte Jo wenig überzeugt.
Wieder fingen sie langsam an und wechselten nach einer Weile in den Trab. Jo beherzigte seine Ratschläge, und Molly lief vorbildlich. Ab und zu drehte sich Jan nach ihr um. Eine Zeitlang ritten sie auch nebeneinander her.
»So ist es genau richtig«, lobte er. »Jetzt können wir mal ein bisschen schneller werden.« Ohne ihre Reaktion abzuwarten, gab er Fritz das Kommando. Der Hengst preschte los.
»Wir haben Zeit«, säuselte Jo Molly zu. »Wir müssen nicht …« Weiter kam sie nicht, denn die Stute hatte offenbar beschlossen, es diesem arroganten Hengst zu zeigen. Sie galoppierte los, holte rasch auf. Jo klammerte sich panisch fest.
»Hey, übertreib nicht!«, rief Jan lachend.
»Sprichst du mit mir oder dem Pferd?« Sie warf ihm einen raschen Blick zu, während sie an ihm vorüberflog.
»Nicht verkrampfen, ganz locker!«
»Witzig, wirklich witzig!« Jo musste blitzschnell den Kopf einziehen, denn Molly kümmerte es keinen Deut, dass ihreReiterin längst nicht unter jedem Ast hindurch passte, der über den Weg ragte.
»Du hast mir nicht gesagt, wo die Bremse ist«, schrie Jo, die jetzt wirklich Angst hatte.
Jan schloss auf.
»Lass dich auf ihren Rhythmus ein. Und nicht verkrampfen!«
Sie wollte eine schnippische Antwort geben, musste sich aber zu sehr konzentrieren, um allen Ästen auszuweichen und um herauszufinden, welchen Rhythmus er meinte. Sie atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe, so wie sie es immer vor wichtigen Meetings machte. Plötzlich konnte sie sich entspannen. Ihre Muskeln wurden weicher, und sie drückte sich ganz leicht aus dem Sattel und ließ sich wieder hineingleiten. Molly gab den Ton an, und irgendwann fühlte es
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