Dürre Beweise
gefragt, ob sich diese Maxi nicht vielleicht einfach selbst aus dem Spiel genommen hat, weil sie das alles nicht mehr ertragen hat, immer nur zweite Wahl zu sein und gedemütigt zu werden, aber was erzähle ich dir das, du kennst das ja alles. Manchmal ist Selbstmord einfach der beste Weg, um das Leben zu meistern.“
Er sagte: „Ich denke jeden Tag darüber nach.“
„Aber gegen die Selbstmordtheorie sprechen die Fesselspuren, die man bei dem Mädchen an einer Hand gefunden hat. Also wurde sie vielleicht einfach entsorgt, weil sie den hohen Ansprüchen ihrer Eltern nicht genügte.“
Guttmann schüttelte ungläubig den Kopf und sagte: „Das ist doch verrückt!“
***
Wenn man ein absoluter, ein hundertprozentiger Weihnachts-Feind war, dann war man in Biene Mayrs Leichenschauhaus genau richtig, außer man schaute sich dann hier herunten einen abartigen Zombie-Film an, der zufälligerweise gerade zu Weihnachten in einem Leichenschauhaus spielte.
Aber das musste ja nicht sein.
Am sichersten vor dem ganzen Weihnachtsterror der Familie samt Apfelstrudel der Schwiegermutter war man freilich als Leiche, ich dachte also: Ihr Glücklichen!, als ich sie alle hier bei Biene Mayr herumliegen sah. Ich war versucht, ihnen in den Zeh zu kneifen und auf den Bauch zu drücken, um ihnen schöne Geräusche zu entlocken, über die wir immer sehr lachen mussten, ließ es dann aber bleiben. Denn der Biene, sonst ganz Fröhlichkeit und gute Laune, wuchsen heute Eiszapfen aus der Nase, kaum dass sie uns sah. Ihr war heute irgendwie nicht nach Spaß und guter Laune.
Guttmann merkte davon natürlich nichts, er hatte keine Ahnung von den Frauchens und wollte nur schnell hier rein und dann schnell wieder hier raus, er bat also: „Zuerst die Fette bitte!“
Das fette Mädchen hatte keinen Namen, keine Adresse und niemanden, der es vermisste. Die Biene zog das Tuch von ihr herunter, und sofort sah man wieder sehr deutlich, dass sie schon lebendig kein Hingucker gewesen war mit ihren schiefen Zähnen, jetzt als Leiche hatte sie den Mund auch noch ganz weit offen stehen, was die Sache nicht besser machte. Guttmann bat um ein paar schnelle Details, und die Biene lieferte verlässlich wie ein Freitagskrimi: „Es gibt keine sichtbaren Zeichen von Gewalt, sie ist infolge von Alkoholmissbrauch kollabiert, während es zur Sache ging, hatte sie über drei Promille im Blut. Aber dort, wo sie lag, fanden sich nirgends die Flaschen, die man leeren muss, um auf drei Promille zu kommen, sie musste also woanders abgefüllt und dort mit dem Auto hingebracht worden sein, ich nehme an, von Männern.“
Daher wehte also der eiskalte Wind. Geschlechterkampf!
Mir fielen aber auf die Schnelle auch keine Frauen ein, als sie „Auto“ sagte und ich plötzlich wieder an die kleine, aber ungute Roadrunner-Szene denken musste, ausgerüstet mit jeder Menge Trainingshosen, aber mit sehr wenig Selbstwertgefühl, wie Kubelka diese Art von Gefühlen nannte. Die Autos sahen furchtbar scheiße aus und waren elendiglich laut, wenn sie nachts die Reise über den Gürtel antraten, oft an Wochenenden. Dann dachte ich mir immer, jetzt schnapp ich mir einen von diesen Idioten und dreh ihm den Kragen um.
Die Biene erzählte weiter: „Es waren vermutlich mehrere Männer, denn sie wog 103 Kilo auf knapp 160 cm, als sie starb, ihre Fettleibigkeit bescherte ihr ein schwaches Herz, sie war nicht gesund, dazu der Alkohol, der Stress und das insgesamte Unwohlsein einer mutmaßlichen Massenvergewaltigung, das alles ließ sie schließlich kollabieren und führte zum Tod durch Herzversagen.“
Guttmann fasste sich augenblicklich an die Brust, unter der seine eigene alte Pumpe auf Hochtouren arbeitete, und man konnte richtig sehen, wie sie dabei sein Fett zum Kochen brachte und ihm den Schweiß aus den Poren trieb, während sie ihm gleichzeitig alle Farbe im Gesicht nahm. Das war kein Bild reiner männlicher Stärke und Überlegenheit, also lag es wieder mal an mir, die Ehre unseres Geschlechts zu retten: „Dann waren es also gar keine abgebrühten Mörder, sondern nur dumme Jungs, die das Pech hatten, dass ihnen das Mädchen während dieser Sache weggestorben ist?“
„Naja, Pech!“, rückte die Biene diese Sache wieder gerade. „Sie ist natürlich nicht freiwillig dort hingefahren, hat sich nicht freiwillig ausgezogen, und sie hat sich mit Sicherheit nicht freiwillig vergewaltigen lassen, weil das einfach nicht vorkommt in der Natur, dass man sich freiwillig
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