Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Nein, sie hatte morgens beim Verlassen des Hauses alle Fenster überprüft. Hatte Krispin eines geöffnet, während sie oben gewesen war? Ein starker Luftzug, der das Holz zum Knacken gebracht und den Geruch ins Haus gelassen hatte, war die wahrscheinlichste Erklärung. Hier, am helllichten Tag, mitten in Düsterbruch, drohte ihr keine Gefahr.
»Lächerlich«, sagte sie leise zu sich selbst und war wieder auf den Füßen. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Sie konnte das Wohnzimmer durch die Tür verlassen und in die Diele gehen, wo sie das vermeintliche Geräusch gehört hatte. Oder sie konnte sich durch eines der kleinen Fenster hinauszwängen, in den Garten, und dann auf die Straße laufen. Und wenn jemand sie dabei beobachtete? Mona hatte ihren Stolz. Eine warnende Stimme flüsterte ihr, dass sie reagierte wie viele, nun tote Menschen vor ihr.
Mir passiert schon nichts, dachte Mona dennoch. Sie öffnete die Wohnzimmertür. Die schmale Diele ihrer Kate erhielt nur von einem Fensterchen neben der Eingangstür ein wenig Licht. Trotzdem sah Mona auf einen Blick, dass niemand da war. Nicht auf der Treppe, nicht unter der Treppe, nicht hinter den Jacken und Mänteln an ihrer Garderobe. »Du dumme Nuss!«, murmelte sie. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, aber ihre Knie gaben etwas nach. Sie tastete sich an der Wand entlang in Richtung Küche, wo sie sich noch einen Korn einschenken wollte. Ihre Nerven lagen blank, das war alles.
Die Küchentür war nur angelehnt. Sie trat in den vertrauten Raum, der nicht mehr vertraut roch. Sie spürte einen Luftzug in ihrem Nacken, sah hinter sich eine Bewegung und fuhr herum. Jemand stand hinter der Tür! Als sie erkannte, wen sie vor sich hatte, atmete sie erleichtert auf.
»Mein Gott, hab ich mich erschreckt!« Sie fasste sich an die linke Brust. Das Gesicht war vertraut und gleichzeitig fremd. Sie hatte einen Fehler gemacht … und allen Grund zur Panik. Trotzdem war es irreal. Als Mona in den Lauf der Pistole sah, schnappte sie nach Luft. Für einen Schrei blieb ihr keine Zeit. Nicht einmal für die Erkenntnis, dass sie genau darauf hätte gefasst sein müssen.
»Tut mir leid, Mona«, war das Letzte, was sie hörte. Und dann nichts mehr.
9. Kapitel
D as Zahnschema des Toten in dem Autowrack stimmt mit den Zahnarztunterlagen überein. André Falke ist in seinem Auto verbrannt«, erklärte Gabler am nächsten Morgen. »Er ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Opfer einer Straftat geworden.«
Die Frühbesprechung fand in dezimierter Besetzung statt. Ein Raubmord in Bad Schwartau hatte es erforderlich gemacht, die Kollegen des K1 aufzuteilen und zusätzlich Beamte aus anderen Abteilungen hinzuzuziehen. Die Staatsanwältin schien über diese neue Entwicklung ebenso wenig glücklich zu sein wie der Leiter des K1. Sie saß am anderen Ende des Konferenztisches und trommelte mit den Fingernägeln auf der Tischplatte herum.
»Es gibt schon erste Informationen über André Falke aus Kiel. Wir haben im Bundeszentralregister nachgesehen. Er ist wegen Drogenhandels und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden. André Falke hat eine mehrmonatige Haftstrafe abgesessen und war gerade erst wieder auf freiem Fuß. In Kiel liegt eine Kriminalakte über ihn vor.«
Kürschner schlug den Ordner auf. »Laut vorläufigem Obduktionsbericht weist das Opfer Verbrennungen vierten, fünften und sechsten Grades auf, die auch zusammengefasst als ›Verkohlung‹ bezeichnet werden. Die Leiche wurde in der sogenannten ›Fechterstellung‹ aufgefunden. Die Hitze bewirkte eine Muskelschrumpfung, wobei die Beuger die Strecker überwiegen, was zu der typischen gekrümmten Körperhaltung des Brandopfers führt. Weiterhin haben wir hitzebedingte Hautrisse und eine Sprengung der Schädelkapsel. Und hier liegt das Problem.«
Erst hier?, dachte Pia.
»Durch die Sprengung der Schädelkapsel ist nunmehr schwer festzustellen, ob und welche Schädelverletzungen schon vor dem Feuer bestanden haben und welche nicht. Der Rechtsmediziner gibt an, dass die Schädeldecke des Toten eine Fraktur im linken, hinteren Bereich des Hinterkopfes aufweist, die möglicherweise durch einen stumpfen Gegenstand hervorgerufen wurde. Den Angaben nach handelt es sich um einen etwa eineinhalb Zentimeter breiten, länglichen und geraden Gegenstand. Man kann aber nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob dieser Schlag tödlich gewesen ist oder nur Bewusstlosigkeit zur Folge gehabt hat.«
»Bei der
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