Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
daran, dass sie ein Schlafmittel genommen hat. Es geht ihr doch nicht wirklich schlecht, oder? Oxana hat sich etwas verschreiben lassen. Sie konnte nicht mehr schlafen, nachdem das mit meiner Mutter passiert ist.«
»Wo hat sie das Schlafmittel aufbewahrt?«
»Normalerweise stehen solche Sachen im Badezimmer in dem Schränkchen an der Wand.« Er erhob sich.
Pia fasste ihn am Arm. »Warten Sie. Ich werde nachsehen. Ich habe schon einen Rettungswagen gerufen. Er muss gleich hier sein.«
»Was? Was soll das?!«
»Nur zur Sicherheit. Ich finde es besorgniserregend, dass sie sich nicht wecken lässt. Ich werde bei ihr bleiben, bis ein Arzt da ist.«
»Halt. Das ist doch meine Aufgabe!«
»Broders wartet hier unten mit Ihnen. Sie können solange Ihre Aussage zu Ende bringen.«
»Und dann?«
»Vielleicht können Sie Ihre Freundin ins Krankenhaus begleiten.« Pia war sich nicht sicher, ob das so sein würde. Erst mal galt es, die Situation unter Kontrolle zu halten. Sie waren zwar zu zweit, aber auf eine körperliche Konfrontation mit Seesen war sie trotzdem nicht erpicht.
Sie fand die angebrochene Packung Schlaftabletten wie von Seesen beschrieben im Badezimmerschrank. Pia streifte sich Handschuhe über und stellte fest, dass sechs Tabletten fehlten. Der Blick auf den Beipackzettel sagte ihr nicht viel. Das Zeug war verschreibungspflichtig, die möglichen Nebenwirkungen lasen sich wie so oft wie ein Horrorszenario. Pia hatte aber nicht den Eindruck, als hätte Dr. Godewind Frau Markowa irgendein Hammerpräparat verschrieben. Trotzdem. Es kam ja immer auf die Dosis an. In dem Medikamentenschrank fand sich ansonsten alles, was eine gewöhnliche, nicht sonderlich ambitionierte Hausapotheke zu bieten hat: Nasentropfen, Jodsalbe, Aspirin-Tabletten.
Pia beförderte die Medikamentenschachtel mit den Schlaftabletten in eine Plastiktüte und dann in ihre Jackentasche. Sie ging wieder zu Oxana Markowa ins Schlafzimmer. Die Frau schlief weiterhin fest, oder sie war betäubt worden … Sie atmete ruhig und gleichmäßig, wenn auch vielleicht etwas zu flach. Hatte sie selbst etwas genommen, oder war ihr da etwas untergejubelt worden? Und wenn ja, weshalb?
Der angeforderte Rettungswagen und der Notarzt trafen nach zehn Minuten ein. Oxana Markowa wurde ins nächste Krankenhaus gefahren. Der Notarzt konnte nicht viel zu ihrem Zustand sagen. Vielleicht würde man ihr den Magen auspumpen müssen.
Pia kam sich schäbig vor, weil sie den Rettungsassistenten angewiesen hatte, Jörg Seesen nicht im Wagen mitzunehmen. Er sollte seiner Freundin erst ins Krankenhaus hinterherfahren, wenn sie wussten, was sie von ihm wissen wollten.
Jörg Seesen wiederholte immer wieder, Oxana habe sich am Vorabend nicht wohlgefühlt. Sie sei jedoch erst gegen elf Uhr zu Bett gegangen. Von einem Schlafmittel habe sie nichts gesagt. Er änderte seine Aussage aber insoweit, als er aussagte, er sei schon wach gewesen, als seine Schwester ihn wegen Tizia angerufen hatte. Dann hätten sie und Broders auch schon vor der Tür gestanden.
»Warum sind Sie so früh am Morgen aufgestanden?«, fragte Pia.
»Ich wollte gerade raus, nach den Tieren sehen. Das hier ist kein Acht-Stunden-Job.« Er sah sie an, als wäre das ihre Schuld.
»Als wir ankamen, brannte im Keller Licht.«
»Dann hat wohl jemand vergessen, es auszuschalten.«
»Und Sie sind sich sicher, dass Sie nicht im Keller gearbeitet haben, als wir kamen?«, hakte Broders nach. Sein Blick ging nach unten, zu Seesens schmutzigen Hosenbeinen. Dann sah er wieder auf.
»Nein. Daran würde ich mich doch wohl erinnern. Die Arbeitshose habe ich nur deshalb übergezogen, weil Sie mich im Morgengrauen aufgescheucht haben. Ich wollte kein Licht im Schlafzimmer machen, wo meine normalen Sachen hängen, um Oxana nicht unnötig aufzuwecken …«
»Wo bewahren Sie Ihre Arbeitskleidung auf?«
»In der Waschküche.«
Die befand sich neben dem Eingang, erinnerte sich Pia. Dort hatte niemand das Licht eingeschaltet, nachdem sie geklingelt hatten. Das mit dem Kellerlicht war merkwürdig – jedenfalls wenn man es in Bezug zu dem Eindruck setzte, dass Seesen deswegen nervös wirkte.
»Ich werde mich im Keller umsehen. Mein Kollege leistet Ihnen solange hier oben Gesellschaft«, sagte sie.
»Wieso das denn?«, protestierte Jörg Seesen. »Sie haben doch gar keinen Durchsuchungsbefehl!«
»Haben Sie etwas zu verbergen?«
»Ich will einen Anwalt. Darauf habe ich ein Recht, verdammt!«
»Alles zu seiner Zeit«,
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