Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
oben: »Heil und unversehrt!« Sofort wurde mein Ruf vielfältig von den seltsamen Wänden zurückgeworfen und in etwas Unverständliches und Erschreckendes verwandelt.
Ich band die Laterne los und Konrad zog das Seil zu sich hoch, damit er unsere Ausrüstung herunterlassen konnte. Danach stiegen Elizabeth und dann mein Bruder herab.
Ich warf einen letzten Blick auf das Seil, unserem einzigen Weg nach draußen. Dann stiegen wir die gewaltigen Stufen hinunter. Jede war über einen Meter hoch, und da es mit unseren schweren Rucksäcken nicht so einfach war, die Balance zu halten, ließen wir uns vorsichtig hinab.
»Das ist ein Wunder der Natur«, flüsterte Elizabeth, die ihre Laterne hochhielt und sich umsah. Ich bemerkte, dass sie zitterte.
Bevor ich etwas sagen konnte, fragte Konrad: »Ist dir warm genug?«
»Ja, danke«, bestätigte sie. Es war hier eindeutig kälter.
»Am besten immer in Bewegung bleiben«, sagte ich und studierte erneut die Karte. »Das hier ist unser Weg.«
Elizabeth markierte ihn mit Kreide. Dieser Tunnel hier war enger und wir mussten mit eingezogenem Kopf hintereinandergehen. Bei jeder Verzweigung schaute ich auf die Karte, und Elizabeth achtete darauf, jede unserer Entscheidungen mit Kreide zu markieren.
Wir kamen nur langsam voran, denn der Boden war uneben und fiel manchmal um einen halben Meter oder mehr ab. Außerdem hatte ich Sorge, vielleicht eine Abzweigung zu verfehlen. Meistens waren sie deutlich zu erkennen, doch manchmal waren die neuen Durchlässe kaum mehr als Spalten im Stein und zusätzlich von Schatten verdeckt. Was bei Temerlins Karte fehlte, war ein einheitlicher Maßstab, und so war ich oft überrascht, wie schnell eine neue Abzweigung kam – oder wie lange wir bis zur nächsten brauchten.
»Wie spät ist es?«, fragte ich.
»Halb elf«, sagte Konrad zu meiner Überraschung.
Schon anderthalb Stunden! Wir machten eine Pause, um aus unseren Flaschen zu trinken und etwas zu essen, doch ich hatte keinen besonderen Hunger.
»Was glaubt ihr, wie tief wir hier sind?«, fragte Elizabeth.
»Unmöglich zu sagen«, erwiderte Konrad.
Dann gingen wir weiter, immer nach unten. Langsam machte sich das Gewicht meines Rucksacks bemerkbar, und ich bereute, dass wir so viel Ausrüstung mitgenommen hatten. Konrad jedoch hatte sich bisher mit keinem Wort beschwert und so würde ich das auch nicht tun. Ich hielt meinen Blick auf die rechte Seite des Tunnels gerichtet, denn unsere nächste Abzweigung würde dort sein.
»Soll ich die Karte übernehmen?«, fragte Konrad leise.
»Nein, ich hab den Dreh jetzt raus«, sagte ich knapp.
Die Abzweigung kam endlich und mit ihr das Geräusch von fließendem Wasser.
»Hervorragend«, bemerkte ich. »Temerlin hat das erwähnt. Ein kleiner Bach, der an einer der Wände herabfließt.«
Mit jedem Schritt wurde das Geräusch lauter, und es wurde immer deutlicher, dass das kein kleiner Bach sein konnte. Leichter Dunst glitzerte im Licht der Laternen. Dann plötzlich wurde der Tunnel offener und von der einen Seite kam Wasser herabgestürzt.
»Das ist ja ein richtiger Wasserfall!«, bemerkte Konrad.
Sein Anblick erfreute mein Herz. Es war schön, eine so lebendige Energie in dieser Welt aus totem Stein zu sehen. Und ich war erleichtert, denn es bedeutete, dass die Karte stimmte und ich uns nicht in die Irre geführt hatte.
»Das muss das Sommerschmelzwasser von den Gletschern sein«, meinte Elizabeth. »Aber … wie kommen wir da rüber?«
Der Wasserfall selbst blockierte unseren Weg nicht, wohl aber die Spalte, in die das Wasser stürzte. Ich schob mich näher an den Rand und blickte hinunter. Das Licht der Laterne reichte nicht sehr weit, und ich frage mich, wie tief die Spalte wohl war. Von unten kam ein gedämpftes Brausen. Auf der anderen Seite ging unser Stollen weiter.
Ich schluckte und murmelte: »Temerlin sagt, es sei nicht mehr als ein kleiner Sprung.«
»Das ist mehr als ein kleiner Sprung«, bemerkte Konrad.
Ich fand die Stelle in dem Notizbuch: »›Ein kurzer energischer Sprung‹.«
»Der muss ziemlich energisch gewesen sein«, meinte Elizabeth.
»Der Abstand ist gar nicht so sehr groß«, sagte ich. »Eins fünfzig?«
»Eins achtzig«, sagte Konrad.
»Geh nicht so dicht ran«, sagte Elizabeth zu ihm und packte seinen Arm, als er über die Kante spähte. »Der Stein ist nass und vielleicht glitschig.«
»Ich hätte daran denken sollen, ein Brett mitzubringen«, murmelte ich.
»Nach dem, was Temerlin notiert hat,
Weitere Kostenlose Bücher