Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Wenn der abends aus dem Stall oder vom Feld kam, wurde es ganz ruhig im Haus. Selbst Tante Helga, die ja sowieso kaum geredet hat, wurde dann noch wortkarger. Es war richtig gruselig.«
»Onkel Alfons war einfach ein …« Sie verstummte. »Aber wir sollten jetzt wohl nicht zu schlecht von ihm reden. Wo er doch tot ist.«
Die beiden Frauen hatten nichts von Alfons Schulte-Steins Tod gewusst. Erst durch Keller hatten sie von dem Mordfall erfahren.
»Hat Ihr Vater einmal gesagt, weshalb er den Kontakt mit der Familie abgebrochen hat?«
»Nein. Er meinte immer, das hat sich einfach so ergeben. Für uns war das auch nicht weiter verwunderlich, schließlich konnten wir mit den Leuten dort genauso wenig anfangen wie er.«
»Unser Vater hat aber generell mit uns nicht über seine Vergangenheit gesprochen. So war er nun mal.«
»Aber so sind doch alle«, meinte die andere. »Die ganze Generation. Was die als Jugendliche im Krieg und in den Hungerjahren danach erlebt haben, das weiß kein Mensch. Und wenn man sie danach fragt, heißt es immer nur: Andere hatten es schlimmer.«
»Können Sie sich vorstellen, dass wir erst nach seinem Tod erfahren haben, dass er gar kein leiblicher Sohn von Schulte-Stein war, sondern adoptiert wurde?«
»Das hat er Ihnen nie erzählt?«
»Nein. Erst als wir seinen Nachlass verwaltet haben, sind wir darauf gestoßen. Er stammte aus Dortmund. Seine Eltern waren im Krieg ums Leben gekommen. Sein Vater an der Front und seine Mutter während der Bombardierungen. Er war Vollwaise, und weil es offenbar auch sonst keine Verwandten mehr gab, ist er in ein Heim bei Osnabrück gekommen. Von dort hat ihn die Familie Schulte-Stein zu sich genommen.«
»Aber bestimmt nicht, weil die Kinder mochten und ihnen ein Zuhause geben wollten. Das hatte andere Gründe.«
»Jedenfalls ist uns erst da klar geworden, wieso er den Kontakt so vernachlässigt hatte. Wir dachten, es läge daran, weil sein Vater ein Tyrann war und ein hässlicher Altnazi. Auf die Idee, dass unser Vater gar nicht dessen leiblicher Sohn war und sich auf dem Hof nur wie ein Arbeitssklave gefühlt hatte, darauf sind wir nicht gekommen.«
»Wir haben dann nach seiner verschollenen Familie geforscht und eine Tante gefunden, die nach dem Krieg mit einem GI nach Amerika gegangen ist. Die ist inzwischen zwar auch schon tot, aber wir stehen mit ihren Kindern in Kontakt, die alle um die sechzig sind. Es ist schön, irgendwo noch Familie zu haben. Eine richtige Familie.«
»Wenn alles klappt, fliegen wir im nächsten Jahr zu ihnen. Schade, dass Vater nicht mehr dabei sein kann. Vielleicht hätte ihn das mit seiner Vergangenheit versöhnt, wenn er sich mit seinen Cousins und Cousinen getroffen hätte. Die leben nämlich alle noch.«
Keller nahm sich einen Keks vom Teller. »Ihr Vater war lange krank, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Ja. Nach der Diagnose ging es aber stetig bergab. Achtzehn Monate später ist er dann im Krankenhaus gestorben. Es war eine furchtbare Zeit.«
Keller rechnete zurück. »Wie war sein Zustand vor viereinhalb Monaten?«
Die Frauen blickten sich verwundert an.
»Konnte er da noch alleine Ausflüge machen?«, fragte Keller. »Mit dem Wagen Spazierfahrten machen, zum Beispiel?«
»Nein. Da war er die meiste Zeit im Krankenhaus. Und wenn er mal zu Hause war, hat er kaum sein Zimmer verlassen. Wir mussten ihn rund um die Uhr betreuen.«
»Ich verstehe.«
Keller dachte an den dunklen Passat mit dem Kölner Kennzeichen, von dem Manfred Schulte-Stein gesprochen hatte. Etwa viereinhalb Monate war es her, dass der angeblich auf dem Anwesen aufgetaucht war.
»Was für einen Wagen hat Ihr Vater besessen?«
»Einen Saab. An das Modell kann ich mich nicht erinnern.« Sie sah ihre Schwester an. »Du etwa?«
»Nein. Aber er war rot, das weiß ich noch. Knallrot.«
Also konnte es eigentlich nicht Onkel Fritz gewesen sein, der Alfons Schulte-Stein in Düstermühle besucht hatte. Schon wieder eine Sackgasse.
Keller trank seinen Kaffee aus und erhob sich.
»Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
Die Schwestern schienen zu bedauern, dass sie nicht mehr über ihre Verwandten in Düstermühle sagen konnten.
»Möchten Sie vielleicht zum Essen bleiben?«, fragte die eine, und die andere fügte hinzu: »Danach wäre der Berufsverkehr auch vorüber.«
Er betrachtete die beiden attraktiven Frauen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Nein, vielen Dank.« Er gab ihnen seine Karte. »Aber wenn Ihnen noch etwas
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