Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
anderer lebt schon so lange hier. Ich halte es durchaus für möglich, dass er dich zum Narren hält.«
»Ich weiß nicht.« Hambrock beobachtete, wie sich der alte Mann Meter für Meter vorankämpfte. Das Prasseln auf dem Wagendach wurde stärker. »Wenn wir die Hintergründe der Tat wissen«, sagte er, »wird vielleicht auch klar, warum Carl Beeke den Mörder nicht kennt.«
Eine alte Frau tauchte am Friedhofstor auf. Sie rief etwas und machte winkend auf sich aufmerksam. Ihre Haare waren bereits klitschnass und hingen ihr ins Gesicht. Es war Rosa Deutschmann. Carl und Christa, die ihr Auto nun erreicht hatten, drehten sich um. Rosa lief zu ihnen, Carl hielt ihr eine Wagentür offen, und sie sprang hinein.
»Und was ist ihre Rolle in der ganzen Sache?«, fragte Gratczek.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube aber kaum, dass sie überhaupt eine nennenswerte Rolle spielt. Sie war als Kind auf dem Hof von Schulte-Stein. Mehr nicht.«
»Aber ihr Fotoalbum ist gestohlen worden.«
»Richtig. Die alten Fotos der Schulte-Steins. Weiß der Himmel, was die mit der Sache zu tun haben.«
Gratczeks Augen weiteten sich. »Vielleicht weiß Carl Beeke deshalb nichts.«
»Ich verstehe nicht.«
»Die Bilder im Fotoalbum haben irgendwas mit der Sache zu tun. Was, wenn die Motive für diesen Mord tatsächlich in die Zeit zurückgehen, in der die Fotos geschossen wurden? Carl Beeke war da im Krieg, und später in Gefangenschaft. Er ist erst achtundvierzig zurückgekommen.«
»Etwas ist auf dem Hof passiert«, dachte Hambrock laut. »Und zwar in den letzten Kriegstagen.«
»Während Rosa Deutschmann auf dem Hof lebte.«
»Richtig. Allerdings war sie noch ein Kind.«
»Und deshalb kann sie sich vielleicht nicht mehr daran erinnern.«
»Wir sollten uns mit ihr unterhalten. Gut möglich, dass sie den Schlüssel in sich trägt, ohne es zu ahnen.«
Zwei robuste und tiefschwarze Regenschirme tauchten am Friedhofstor auf. Der Wind zerrte daran, konnte ihnen jedoch nichts anhaben. Renate Wüllenhues und ihr Sohn erschienen. Renate schritt aufrecht und würdevoll voran, ihr Sohn folgte mit steinernem Gesicht.
»Wenn du mich fragst, müssen wir Bodo stärker ins Visier nehmen«, meinte Gratczek.
»Wegen der alten Nazigeschichten?«
»Sein Vater war am Tatort! Das hat doch einen Grund! Außerdem hast du gerade selbst gesagt, das Motiv könnte in dieser Zeit zu suchen sein.«
»Schon«, räumte Hambrock ein. »Aber in diesem Fall … Gut, da ist die Tatsache, dass Bodos Großvater wegen Otto Schulte-Stein im Konzentrationslager war. Aber reicht das für einen Mord? Beide Männer sind seit den Sechzigern tot. Bodo hat seinen Großvater nicht einmal mehr kennengelernt.«
»Das ist doch nur das, was wir bisher wissen. Siegfrieds Rolle ist für uns noch völlig schleierhaft. Aber er war am Tatort. Außerdem ist Bodo kräftig. Er könnte der Täter sein. Und er hat kein Alibi.«
Die beiden verschwanden aus ihrem Blickfeld. Der Eingang zum Friedhof leerte sich. Im prasselnden Eisregen herrschte auf dem Parkplatz ein Chaos von vor- und zurücksetzenden Autos, bis schließlich alle entwirrt waren und die Straße erreicht hatten. Eine Karawane rollte in Richtung Moorkamps Gastwirtschaft.
Gratczek brachte sich in Stellung und griff nach dem Zündschlüssel. »Sollen wir?«, fragte er.
»Ja, lass uns fahren. Aber nicht nach Münster. Wir machen einen Abstecher zu Moorkamps Kneipe. Ich möchte mir diese Gesellschaft noch ein bisschen ansehen.«
»Wie du willst.«
Als Gratczek den Motor startete, tauchte eine einsame Gestalt am Tor auf. Der Statur nach ein alter Mann. Sein Hut hing ihm aufgeweicht und triefend ins Gesicht, der Anzug klebte nass und schwer an seinem Körper. Nachdenklich sah er der Autokarawane hinterher. Es war Walther Vornholte.
Gratczek hatte den Motor wieder abgestellt. Schweigend beobachteten sie den Alten, der langsam im strömenden Regen davontrottete.
»Was ist eigentlich mit Vornholte?«, fragte Hambrock. »Den haben wir uns noch gar nicht genauer vorgenommen.«
»Nein. Kellers erste Befragung hat jedenfalls nicht viel ergeben. Trotzdem. Er weiß auch irgendwas, da bin ich mir sicher. Jedenfalls gehört er zum Stammtisch.«
»Aber irgendwie macht er nicht den Eindruck, als würde er wirklich dazugehören. Er kommt mir immer ein bisschen verloren vor. Wie ein Außenseiter.«
»Seine Frau ist tot. Das hat er wohl nicht verkraftet. Sie war lange krank, und am Ende muss sie sehr gelitten haben. Es war kein schöner
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