Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
was helfen. Du bist nicht allein. Wir sind alle bei dir.«
Er wollte sich umdrehen und wieder gehen, da sagte Renate: »Setz dich doch, Carl. Bitte, mir zuliebe.«
Er ließ sich auf einen Stuhl sinken und nahm ihre Hand. Eine Weile saßen sie schweigend beisammen, Renate schien gar nicht mehr von ihm zu erwarten. Irgendwann fragte er: »Was war da los, Renate? Weshalb war Siegfried in dieser verfluchten Schmiede?«
»Du weißt das nicht? Ich hätte gedacht … Ach, vergiss es. Ich weiß nicht, weshalb Siegfried da war. Ich weiß überhaupt nichts.«
Carl nickte. »Ich verstehe.«
»Er hat den Mord nicht begangen, Carl. Hätte er es getan, ich hätte dafür Verständnis aufgebracht. Aber er war es nicht. Weißt du, er hatte schon immer seine Geheimnisse, und das war auch nicht weiter schlimm. Aber jetzt ist er tot. Und ich bin wieder einmal ausgeschlossen.«
»War Siegfried denn in der Nacht, in der Alfons getötet wurde, zu Hause? Es liegen über sechs Stunden zwischen dem Mord und dem Zeitpunkt, an dem Siegfried die Schmiede in Brand gesteckt hat. Wo war er da?«
»Sein Bett war benutzt, mehr kann ich nicht sagen. Ich gehe immer sehr früh zu Bett, und Siegfried sieht dann in der Regel noch lange fern. Ich habe einen guten Schlaf, und meist bekomme ich es nicht mit, wenn er ins Bett kommt. An diesem Morgen lag er jedenfalls nicht neben mir, als ich aufgewacht bin. Ich weiß also nicht, was er in der Nacht alles getan hat. Aber sein Bett war benutzt. Für mich sah es einfach so aus, als wäre Siegfried nur ausnahmsweise vor mir aufgestanden.«
Siegfried musste von dem Mord gewusst haben. War er deshalb so früh aufgestanden? Um die Spuren des Täters zu verwischen? Aber warum war er dann nicht schon nachts zur Schmiede gegangen? Warum erst am nächsten Morgen? Alfons’ Leiche hätte doch entdeckt werden können. Wieso ging er erst ins Bett, um am frühen Morgen zur Schmiede zu gehen?
Ihre Stimme nahm einen drängenden, verzweifelten Tonfall an. »Carl, warum hat er mir das angetan? Warum macht er so etwas mit mir?«
»Renate, hör mal, du verstehst das falsch …«
»Er hätte doch wissen müssen, was für einen Schmerz er mir zufügt. Wie konnte er das über sich bringen?«
»Lass das, Renate, bitte. Es war ein Unfall. Siegfried konnte nicht ahnen, dass es sein Herz überfordern würde.«
Ihr Gesicht verdunkelte sich. Doch sie schwieg.
»Was immer Siegfried in der Schmiede wollte: Hätte er gewusst, dass er dich in dieser Verfassung zurücklässt, wäre er nicht gegangen. Das weiß ich ganz sicher.«
Sie schüttelte den Kopf. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Ich bin mir ganz sicher«, beharrte er.
Dann verfielen sie wieder in Schweigen. Carl sah sich um. Die Trauergesellschaft schien Renate für einen Moment vergessen zu haben. Keinem war aufgefallen, dass sie sich zurückgezogen hatte. Nur Bodo sah ab und an zu ihnen herüber.
»Wie geht es deiner Mutter im Pflegeheim?«, fragte Carl.
Sie war natürlich nicht hier. Sie lebte schon seit Jahren im Pflegeheim. Carl hatte sich vorgenommen, sie einmal zu besuchen. Aber irgendetwas war immer dazwischengekommen. Sie war der gleiche Jahrgang wie er. Er musste dankbar sein für seine Gesundheit.
»Es geht ihr gut. Soweit man das beurteilen kann.«
»Weiß sie, was passiert ist? Versteht sie, dass Siegfried fort ist?«
»Nein, sie ist … Die Momente, in denen sie klar ist, werden seltener. Manchmal kommt es mir vor, als wäre da ein ganz anderer Mensch. Eine fremde Frau.«
»Nein, Renate, sie ist noch hier. Es ist nur die Krankheit. Tief drinnen ist sie immer noch die Alte. Daran wird sich nie etwas ändern.«
»Ich wünschte, ich könnte das glauben. Sie fehlt mir.«
Carl wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment drängten sich Menschen an den Tisch. Renate rückte wieder ins Geschehen. Es waren Cousins und Cousinen, die Renate ihr Beileid aussprechen und sich mit an die Kaffeetafel setzen wollten. Der Kuchen war nun im ganzen Saal serviert, und die Leute nahmen alle Platz. Carl war am falschen Tisch, er gehörte zu den Nachbarn.
»Ich rufe dich an«, sagte er, strich ihr über den Arm, erhob sich mühsam und ging davon.
Die Nachbarn hatten sich bereits an ihren Tisch gesetzt, nur noch wenige Plätze waren frei. Carl lebte schon seit über zehn Jahren nicht mehr auf seinem Kotten, trotzdem war wie selbstverständlich hier für ihn eingedeckt worden. So lange diese Generation noch lebte, waren die Beekes fester Bestandteil der
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