Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Gemeinschaft, ganz egal, wo sie nun lebten. Das würde sich erst mit der nächsten Generation ändern. Christa legte keinen Wert auf diese Dinge.
Der Saal war erfüllt von Stimmengewirr, von feuchtwarmen Ausdünstungen und Kaffeedampf. Carl empfand das alles als tröstlich. Auch wenn er sich oft einsam fühlte in seinem Wohnzimmer in Düstermühle, hier wurde ihm deutlich, er war nicht allein. An Tagen wie diesen rückten alle zusammen.
Heinz Moorkamp winkte ihm zu.
»Setz dich zu uns, Carl«, sagte er. »Hier ist noch Platz.«
Seine Frau Inge rückte ein bisschen zur Seite, damit er mit seinem Stock vorbeikam. »Siegfried wäre überrascht, wie viele Leute zu seiner Beerdigung kommen«, sagte sie und deutete auf den überfüllten Saal. »Es ist doch beeindruckend, oder?«
»Wo kommen die nur alle her?«, fragte Carl. »Ich kenne nicht einmal die Hälfte.«
»Er hat wohl eine große Familie. Dann sind da der Schützenverein und der Reiterverein. Da war er ja überall ein engagiertes Mitglied. Und außerdem …«
Inge wurde unterbrochen. Rosa stand plötzlich am Tisch. Sie trug bereits ihren Mantel und sah aus, als wolle sie aufbrechen. Höflich begrüßte sie die Moorkamps, dann sagte sie zu Carl: »Ich möchte mich nur verabschieden. Ich gehe jetzt.«
»Ach was, Rosa«, sagte Inge. »Setz dich zu uns. Wir machen noch ein bisschen Platz, das geht schon. Auch wenn du nicht zu den Nachbarn gehörst.«
»Nein, danke. Ich kannte Siegfried doch kaum. Ich bin müde und möchte nach Hause. Der ganze Rummel, das ist nichts für mich.«
»Soll ich dich ein Stück begleiten?«, fragte Carl.
»Ach was. Nein, bleib du hier. Ich komme alleine zurecht.«
Sie beugte sich vor und senkte ihre Stimme, damit die Moorkamps sie nicht hören konnten. »Lass uns heute Abend telefonieren, Carl. Ich glaube, mir ist etwas eingefallen. Wegen früher.«
»So? Was denn?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich will noch einmal etwas nachsehen. Später weiß ich mehr.«
»Gut. Dann telefonieren wir. Komm gut nach Hause, mien Deernken.«
Sie lächelte zum Abschied, winkte noch mal in die Runde, drehte sich um und ging. Carl bemerkte, wie Heinz Moorkamp ihr skeptisch hinterherblickte.
»Hat Rosa noch was vor?«, fragte er.
»Nein. Sie wollte ohnehin nicht lange bleiben. Ich glaube, sie war hauptsächlich meinetwegen hier.«
Heinz stieß ihm freundschaftlich in die Seite. »Ich hab’s ja immer gesagt«, meinte er lachend. »Du machst die Frauen verrückt, Carl. Daran hat sich nichts geändert.«
»Was denkst du nur von mir, Heinz? Sie ist viel zu jung für mich.«
»Hast du etwa Angst, du kommst ins Gefängnis?«
Nun musste auch Carl lachen. Das tat gut an einem solchen Tag.
Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, dass ein Platz am Tisch der Nachbarn unbesetzt geblieben war.
»Wo ist denn Walther Vornholte?«, fragte er.
»Auf dem Friedhof hab ich ihn noch gesehen«, sagte Inge.
»Er ist wohl nach Hause gegangen«, meinte Heinz. »Beerdigungen … Ich glaube, das war alles zu viel für ihn. Er ist noch nicht so weit. Ihr wisst ja: Er macht seine Trauer lieber mit sich alleine aus.«
Carl hätte sich gern mit Walther unterhalten. Nicht nur, um den Toten zu ehren. Da war noch etwas anderes: Auch Walther war gut mit Siegfried befreundet gewesen. Sie kannten sich vom Schützenverein und aus der Nachbarschaft. Carl hatte beim letzten Stammtisch das Gefühl gehabt, Walther wüsste etwas über Siegfrieds Tod. Er nahm sich vor, ihm in den nächsten Tagen einen Besuch abzustatten.
Später machte sich Carl auf den Weg zur Toilette. Er durchquerte den Schankraum, wo all die Menschen untergebracht waren, die weder zur Familie noch zur Nachbarschaft oder zum Schützenverein gehörten. Auch dieser Raum war überfüllt.
Zu seiner Überraschung entdeckte er Bernhard Hambrock im hinteren Teil der Wirtschaft. Er stand mit einem Kollegen da und beobachtete das Geschehen. Dabei sah er jedoch nicht aus, als wäre er mit den Gedanken bei der Sache. Er wirkte eher verloren auf dieser Trauerfeier. Was ja auch kein Wunder war. Eine Beerdigung. In seiner Situation. Warum tat er sich das an? Hätte er nicht am Krankenbett seiner Schwester sein sollen?
Carl beobachtete, wie Hambrocks Kollege sein Mobiltelefon nahm und den Ausgang ansteuerte. Hambrock blieb allein zurück. Er lehnte sich gegen die Wand und überblickte die Menschenmenge.
Carl trat auf ihn zu. »Herr Kommissar, was machen Sie hier?«
Hambrock blickte verständnislos.
»Ich meine:
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