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Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Titel: Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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Tränen. Sie klammerte sich an Rosas Hände.
    »Ich weiß noch, wie ich als Jugendliche auf Siegfried aufgepasst habe, damals nach dem Krieg, als er wieder auf dem Hof lebte. Ich musste auf meine kleinen Geschwister aufpassen und auf die Kinder von Wüllenhues. Nach der Schule war ich für alle verantwortlich, dabei war ich doch selbst noch ein Kind gewesen. Aber damals war das ganz normal.« Sie lächelte. »Siegfried. Er wollte unbedingt lesen und schreiben lernen. Da war er schon zehn oder elf Jahre alt und ganz versessen darauf, das alles nachzuholen, was er im Krieg und in der Zeit danach verpasst hatte. Stundenlang haben wir zusammengehockt und Buchstaben mit dem Stock in den Sand gemalt. Ich …« Sie brach ab. Eine Träne rann an ihrer Wange herab.
    »Da, wo er jetzt ist, geht es ihm gut, Maria.«
    »Es ist alles so lange her.« Sie lächelte traurig. »Und jetzt diese Geschichte mit Alfons. Wieso hat Siegfried das getan? Da war so viel Gutes in ihm. Warum hat er sich am Ende seines Lebens dem Dunklen zugewandt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Maria nickte. »Von den Schulte-Steins ist keiner hier, oder?«
    »Helga ist mit ihrem Vater da. Sonst keiner. Aber die beiden haben ja auch nie so richtig zur Familie gehört.«
    »Nein, das stimmt.« Maria dachte nach. »Was ist aus Alfons’ Geschwistern geworden? Den anderen Kindern von Schulte-Stein? Ich habe schon ewig nichts mehr von ihnen gehört.«
    »Ich weiß das gar nicht.«
    »Du hast doch damals auf dem Hof gelebt. Ich dachte …«
    »Mutter und ich haben da zwar gewohnt, aber … du weißt ja, wie die Schulte-Steins waren. Es war nicht leicht, mit ihnen auszukommen. Von den meisten habe ich seit Jahren nichts mehr gehört. Fritz lebt in Köln, der hat beim WDR gearbeitet. Und Hanne ist tot, aber das weißt du ja. Doch die anderen? Keine Ahnung, wo die heute sind.«
    »Ich hätte gedacht, wenn einer den Kontakt gehalten hat, dann du. Aber natürlich war das naiv. Wir waren ja noch alle Kinder.«
    Rosa fragte sich, ob sie sich damals mehr um die Kinder der Schulte-Steins hätte bemühen müssen. Aber wäre das nicht sehr viel verlangt gewesen? Sie und ihre Mutter waren nicht willkommen gewesen auf dem Hof. Rosa erinnerte sich, wie erleichtert ihre Mutter war, als sie endlich nach Düstermühle umziehen konnten.
    Maria ging in den Saal, um Renate ihr Beileid auszusprechen, und Rosa wandte sich zur Theke. Heinz’ Ältester zapfte gerade ein Bier. Sie bat ihn um ein Wasser, er schenkte ihr ein freundliches Lächeln und reichte es über den Tresen.
    Die Erkenntnis traf Rosa wie ein Blitz. Beinahe hätte sie das Wasserglas fallen lassen. Es hatte im Brief ihrer Mutter gestanden. Natürlich. Wie hatte sie das nur übersehen können? Plötzlich wurde ihr klar, wer die Personen auf dem Foto gewesen sein mussten. Es lag alles auf der Hand.
    Sechs Kinder, hatte ihre Mutter geschrieben, waren auf dem Hof gewesen, nicht fünf. Das sechste Kind. Rosa konnte sich erinnern. Ganz vage. Da war noch ein Kind gewesen, das im Gesindehaus gelebt hatte.
    Sie nahm einen tiefen Schluck, dann stellte sie das Glas ab. Sie wollte nach Hause und den Brief nochmals lesen. In Ruhe über alles nachdenken. Und dann würde sie mit Carl sprechen.
    Carl wartete, bis Renate Wüllenhues nicht mehr von Menschen umringt war. Sie sollte die Gelegenheit bekommen, in Ruhe durchzuatmen. Erst danach machte er sich auf den Weg zum Familientisch. Am liebsten hätte er sie heute in Ruhe gelassen und ein andermal mit ihr gesprochen. Aber das ging nicht, es gehörte sich nun mal so. Er würde ihr einfach kurz sein Beileid aussprechen und sich dann wieder zurückziehen.
    Bodo stand gerade im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Um ihn herum die Verwandtschaft, die mit ihm sprach und ihn umarmte. Renate saß etwas abseits am Familientisch. Sie hockte vor einem Stück Streuselkuchen und starrte vor sich hin.
    Carl trat auf sie zu. Als sie aufsah, lagen Trauer und Erschöpfung in ihrem Blick. Er lächelte.
    »Renate, meine Liebe. Lass dich nicht stören. Ich bin gleich wieder weg. Ich möchte dir nur nochmals sagen, wie leid mir das alles tut. Siegfried war mir ein guter Freund. Er fehlt. Glaub mir, es gibt nur noch wenig Lebende, die ich zu meinen Freunden zähle. Die Lücke wird nicht zu füllen sein.«
    Einem Impuls folgend, strich er ihr über den Kopf, so wie er es bei Christa getan hatte, als sie noch ein Kind war.
    »Ich komme dich in den nächsten Tagen besuchen«, sagte er. »Vielleicht kann ich dir bei

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