Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
denn meine Lehrer hielten nichts von Bummelei oder Tagträumereien.
Irgendwie verging der Unterricht und ich ging mit Yves in unsere Wohneinheit, um mich umzuziehen. Im Stall brauchten wir eine Viertelstunde, dann ging es hinaus in die Weite der Highlands jenseits von Tennington Castle.
Ich brauchte eine Weile, bis ich zu sprechen begann, aber Yves, mein erwachsener, so verständiger Yves, ließ mir die Zeit und bohrte nicht nach.
Ich erzählte ihm alles, haarklein. Und natürlich sah ich die Fragen in seinem Blick, als er Giacomo verhielt und abstieg. Er trat neben mich und sah zu mir hoch, dann streckte er seine Arme aus und ich ließ mich von Drents Rücken zu ihm hinabgleiten.
Er fing mich auf und erst als er seine Handschuhe auszog, und über meine Wangen strich bemerkte ich, dass ich weinte. Er drückte mich an sich und hielt mich einfach fest.
„Sie wollen mein Leben, Yves, das Leben, das in meinem Blut steckt. Und sie wollen es so lange, bis nichts mehr davon da ist“, murmelte ich.
Er schwieg. Vermutlich war das selbst für seinen Intellekt eine Spur zu viel. Ich klammerte mich an ihn.
„Haben sie herausgefunden, dass du schwul bist?“, fragte er irgendwann leise und strich mit seiner Hand durch mein Haar. Es war eine so liebevolle Geste, dass ich zitterte.
„Ich … bin mir nicht sicher. Sie haben sich das, was sie wissen wollten geholt, während ich schlief. Ich vermute, sie denken, ich sei impotent.“
„Gut, dann werden sie nicht gleich denken, du hättest dir hier jemanden gesucht, falls sie dich hier wirklich mal finden sollten.“
„Was ist daran gut? Allein die Vorstellung …!“ Ich schauderte und er hielt mich fester.
„Ich passe auf dich auf“, sagte er und ich glaubte ihm. Vielleicht, weil ich ihm glauben wollte.
„Weißt du, wenn ich überlege, wie erwachsen du immer bist, fällt es mir wirklich schwer, das zuzugeben, aber ich will, dass du es weißt … Ich bin nicht erst dieses Jahr sechzehn geworden, Yves, sondern letztes Jahr.“
„Und du denkst, jetzt halte ich dich für infantil oder … weniger weit entwickelt?“ Er schob mich etwas von sich und sah mich ernst an.
„Keine Ahnung.“
„Etienne, wer erlebt hat, was du hinter dir hast, der darf Angst haben und unsicher sein. Ich glaube, wenn du es nicht wärest, würde ich mir Sorgen machen. Denn das würde bedeuten, dass du kein Herz hättest.“ Er lächelte und küsste mich.
„Danke.“
„Übrigens trifft sich das sehr gut“, er kratzte sich kurz im Nacken, „ich steh auf ältere Männer …“ Sein Lachen klang ansteckend und fröhlich. Ich wusste, er wollte mich aufmuntern und er schaffte es. Wie Yves so vieles einfach so schaffte.
„Ich liebe dich“, sagte ich. „Auch wenn mich das manchmal erschreckt, ich möchte dich nie verlieren.“
„Ich dich auch nicht, und ich werde nicht zulassen, dass irgendwer dich mir wegnimmt.“
Kapitel 11
Nach dem Ausritt und der kleinen Aussprache, bei der ich Yves so viele Teile meines Geheimnisses verraten hatte, schlug er mir vor, in Zukunft so oft wie möglich in seiner Nähe zu schlafen, um weitere Alpträume zu vermeiden. Ich war ihm dankbar für diese Idee, denn es kam wenigstens auf den Versuch an.
So schliefen wir wahlweise in seinem oder meinem Zimmer, am Wochenende sogar manchmal im Geheimversteck, auch wenn es dort das Problem fehlender Sanitäranlagen gab. Unten im Stall waren Toiletten und eine Dusche vorhanden, die so gut wie nie genutzt wurden. Außer vielleicht, um schnell ein paar verstaubte Gamaschen oder eine Trense abzuwaschen, wenn der Wasserhahn in der Stallgasse gerade besetzt war.
Die Nähe und Vertrautheit mit Yves taten mir gut, so unsagbar gut. Er taute mein Misstrauen auf, half mir, wieder echtes, tiefes Vertrauen zu fassen.
Ich fühlte mich von Tag zu Tag wohler und ich wusste genau, wem ich das zu verdanken hatte.
Am dritten Wochenende seit meinem Schulbeginn, fand das alljährliche Herbstfest statt. Schon beim Rugbyspiel gegen Birmingham hatte das Festkomitee Flyer verteilt, und viele meiner Mitschüler freuten sich darauf, dass die Winchurchmädchen am heutigen Samstag bei uns zu Besuch sein würden. Sie kamen mit mehreren Bussen, als Yves mit einem Buch und ich mit meinem Zeichenblock auf einer Bank am See saßen.
Offiziell und ganz legal trugen wir Alltagskleidung, keine Uniformen. Die Schülerinnen vom Nachbarinternat hielten es genauso. Bunte Kleider, lang, kurz, einfarbig und gemustert, bevölkerten innerhalb weniger
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