Duftspur
es kracht in den Kniegelenken. Wäre das jetzt ein schneebedeckter Hang in den Alpen, hätte das Geräusch ausgereicht, um eine Lawine auszulösen. Doch hier wird nur ein Vogel aus dem Nest geschreckt. Schimpfend flattert er um sein Gelege. Es sind zwar Spuren zu sehen, was aber auch kein Wunder ist, wo Udo mit dem schweren Sack hier längs gekommen sein muss. So allmählich wird auch Kalles Phantasie müde. Ich werde zurückgehen und erkunden, wohin der Weg mich am anderen Ende führt. Irgendwo bei der Burg müsste er rauskommen, das wäre zumindest logisch. Vielleicht wurde dieser Pfad einmal als geheimer Versorgungsweg angelegt für den Fall, dass die Burgbewohner ausgehungert werden sollten. Mein Magen knurrt hörbar. Gleich nach dem Spaziergang werde ich mir einen Müsliriegel gönnen. Ein Restposten von Rudi. Schwer stütze ich die Hände auf meine Knie und will mich in die Aufrechte stemmen, da wird mein Blick auf einen glänzenden, glatten Stein gelenkt. Sieht aus wie ein Halbedelstein. Schmuckstein, schlaumeiert der Advokat, halbe Edelsteine gäbe es nicht. Der Rechtsanwalt hat wohl nichts zu tun. Ob da noch weitere Schmucksteine sind? Ich hebe den glatt geschliffenen, polierten, blauen Stein auf und suche weiter. Hinter einem groben Schieferblock liegt noch einer, der nicht von Alters her hier ist, ein Rosenquarz vielleicht, auch ihn lasse ich in meine Tasche gleiten. Ich krieche weiter und stoße auf Bergkristalle, ganz kleine Bruchstücke, zwischen ihnen liegen gräuliche, unregelmäßig gesprenkelte Steine und ich meine, derartige bereits früher einmal gesehen zu haben. Bei Annegret? Ich stecke alles ein und freue mich schon auf ihr Gesicht, wenn ich sie mit diesen Geschenken überrasche. Gleich morgen werde ich dem Kiosk in der Nähe des Schlossgartens einen Besuch abstatten. Ich schätze, die verkaufen dort solche Schmucksteine und wissen, um welche Sorten es sich bei meinen Fundstücken handelt. Doch wie kommen die hierhin, raunt Kalle. Der kann plappern was er will, ich will jetzt hier weg und ins Bett. Und was ist mit der Erkundung des Pfades, versucht der Bengel mich zu überreden. Morgen ist auch noch Zeit und besseres Licht, beende ich die Sache. Fünf Uhr Dienstbeginn.
Der Burgbroschüre entnehme ich den Standort des Hungerturms, einer der Türme, die innerhalb des Schutzwalls eingebettet sind. Er steht rechts vom Hof und schützt die Burg vor Angriffen aus Richtung Mudersbach, was heute in Nordrhein-Westfalen liegt, wohingegen die Burg zu Rheinland-Pfalz gehört. Hier soll ich mich also niederlegen. Ich raffe meinen Rucksack aus dem Wagen, denke sogar daran, die Schweißröhrchen in den vorfrankierten Umschlag zu stecken und in den Briefkasten schräg gegenüber zu werfen, gehe anschließend schweren Schrittes durch den äußeren Burghof und erklimme die Steinstufen zum Turm. Hoffentlich ist Michael schon drin oder wenigstens die Tür nicht verriegelt. Ich klopfe. Niemand antwortet. Ich rüttle zaghaft am Griff und zu meiner Überraschung lässt sich die schwere Holztür sehr leicht öffnen. Sie quietscht nicht mal in den alten Angeln. Es ist ziemlich dunkel hier. Meinem Hallo-Ruf folgt Stille. Langsam tapse ich mich ins Innere des runden Raums. Schemenhaft erkenne ich zwei Feldbetten und jede Menge Gerümpel. Aufräumwütig scheint Michael nicht zu sein. Auf dem rechten Bett liegt ein Haufen Kram, als hätte jemand etwas ausgekippt, um darin wühlend etwas zu suchen. Der Anblick erinnert mich an Maries’ ›Ich-habe-gar-nichts-zum-Anziehen‹-Anfälle. Ich finde auf Anhieb keinen Lichtschalter und bin zu unmotiviert danach zu suchen. Jetzt habe ich wieder keine Gelegenheit das Kleingedruckte der Dufttests zu lesen, wobei mir doch eben ein Wort ins Auge sprang, das mich neugierig machte: Bibergeil. Im Dunklen kleide ich mich aus, rolle meinen Schlafsack auf, begebe mich hinein, ›sssipp‹ reißverschlusse mich, und wünsch mir eine gute Nacht.
22
Endlich, endlich Ruhe! Das Getrappel und Gekicher hat ein Ende, die Krieger sind müde. Die Kinder der Plattfußbande halten endlich ihre Klappen. Ich wuchte meine Knochen von der linken auf die rechte Seite, dabei streift mein Blick die Leuchtziffern der Armbanduhr. 4:30 Uhr, blinkt es blau. Verfluchter Scheibendreck! Die ganze Nacht lang sind die kleinen Biester hier herum geschlichen und haben Krieg der Sterne gespielt. Denen gehört allen eine Tracht Prügel, hallen Udos Worte in mir nach und mein gerädertes Ich muss ihm recht
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