Duftspur
Hirnrinden.
»Tut mir leid, sorry«, entschuldige ich mich zerknirscht. Kurt dreht sich noch nicht mal um, entfernt den Korken aus seinem Kragen, presst ihn zwischen Zeigefinger und Daumen zu einem Minitorpedo und schnippt ihn über die Schulter zu mir zurück. Ich kann mich gerade noch aus der Schussbahn bringen.
»Tut mir leid, dass ich nicht getroffen hab«, brummt der Burgkoch, der zu grinsen scheint, wenn ich die Reflexion auf dem Elfengesicht richtig deute. Wie sie wohl ausschaut, wenn sie zornig ist?
Jetzt brauchst du aber anwaltlichen Rat, mischt sich hier eine versnobt klingende Stimme ein. Wozu, ich will Kurt nicht anzeigen, er hat ja nicht getroffen. Papperlapapp, sagt der Advokat, du musst die Polizei einschalten. Ganz egal, ob in der Dienststelle deiner Meinung nach ein Armleuchter sitzt. Quatsch, entgegne ich, der ich immer noch keine Beweise für irgendein Verbrechen habe, nicht mal ne Blutspur. Mir fällt nämlich ein, dass Udo heute Mittag mit einem Hochdruckreiniger im Innenraum des Transporters hantiert hat. So sauber kann er den Wagen nicht bekommen haben, als dass ein gutes Labor nicht noch Reste von Blut findet, murrt der Advokat. Wir sind hier nicht bei den Medical Detectives in New York, rufe ich dem Landanwalt ins Gedächtnis, der zu viel ferngesehen zu haben scheint. Außerdem brauch ich jetzt keinen trockenen Rat, sondern einen kühlen Schluck. Hei, tut das Bier gut. Ob ich wohl noch eines haben könnte? Ich winke mit der leeren Flasche und die Cafébetreiberin suggeriert mir mit einer ausladenden Handbewegung in Richtung Kühlschrank, dass ich mich gerne selbst bedienen kann. Das wäre geklärt, doch wie frage ich gestikulierend, ob ich telefonieren darf? Daumen zum Ohr und Zeigefinger zum Mund weisen lassen?
»Bring mir eins mit«, erhalte ich die Order, während ich mir im Kühlschrank zu schaffen mache. Die Bestellung kommt von Greta. Gut, dass sie da ist. Mit einer Frau und vielen offenen Fragen muss ich anfangen, um Klarheiten zu bekommen. Warum also nicht gleich mit Greta. Das Ausschlussprinzip anwenden, doziert der Advokat. Frauen und Klarheit, das passt von vornherein nicht zusammen, stänkert der Geschädigte in mir. Im Fernsehen läuft eine Reportage über Walfang, in deren Verlauf ein Pottwal mittels sprengstoffbeladener Harpunen gekillt wird. Noch grausamer seien jedoch die cold-tipped Harpunen, das Sterben dauere länger, doch das Fleisch bleibe heil. Das Meer schäumt blutig. Da wird einem ja übel. Ich wende den Blick wieder in den Kühlschrank: »Beck’s oder Krombacher?« Greta entscheidet sich wie ich für das räumlich näher liegende Siegerländer Krombacher. Wir setzen uns an den Tisch, prosten und schweigen. Man muss den Frauen die Eröffnung eines Gesprächs überlassen, um ihnen das Gefühl zu geben, sie hätten es in der Gewalt. Wenn der Mann zu redselig daherkommt, wird er schnell von Frauen als selbstgefälliger Schwätzer wahrgenommen. Dergleichen lernt man als aufmerksamer, kleiner Bruder einer frühreifen, großen Schwester.
»Bist du von hier?«, durchbricht sie mein Schweigen und ich erzähle ihr zwei, drei Sätze von meiner Herkunft, an deren Ende ich bemerke, dass sie dem Klang ihrer Aussprache nach sicher nicht von hier sei. Sie gibt mir recht und sagt, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens rund um Bremen verbracht habe. Jetzt wolle ich sicher wissen, was sie als Flachlanddeern die Anhöhen hinauf ins Mittelgebirge verschlagen hat. Es sei das Herz gewesen. Sie wird schwermütig und ihr Blick senkt sich. Konzentriert beobachtet sie die Fortschritte eines stattlichen Brotkrümels, schätzungsweise Roggenbrot, auf dem Tisch.
»Hat Bremen keine Herzspezialisten in den Kliniken?« Mein Versuch, aus der unterirdischen Scherzabteilung ihre Stimmung wieder zu heben, zeigt Wirkung. Ob sie verheiratet sei, frage ich nach.
»Nee, dazu ist es bis jetzt nicht gekommen. Der Richtige weiß es noch nicht.« Mit einem Auge scheint sie zu lächeln.
Ich erzähle ihr ein bisschen von meinem Scheitern auf dem Gebiet der amtlich beurkundeten Paarung. Immerhin sorgen meine Geschichten um Marie für Heiterkeit, sodass sich allmählich in ihren beiden Augenwinkeln Lachfältchen bilden. Mit Abstand betrachtet kann auch ich über damals dramatische Episoden lachen. Ich gehe uns noch ein Bier holen und Greta entspannt sich zusehends, während vor laufender Kamera der getötete Wal zerlegt wird. Dreißig Minuten brauchen moderne Walfänger dafür. Die Asiaten mögen das
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