Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
stehen. Henning ließ den Motor an und öffnete das Fenster der Beifahrertür. „Kommst du jetzt oder nicht?“
Ich kletterte in den Geländewagen, der bereits mit Eichenpfählen beladen war. Mein Blick fiel auf den leeren Reitplatz. Schnell zog ich mir die Kappe ins Gesicht. Henning fuhr los.
„Seit wann bist du aus Kanada zurück?“, unterbrach ich die Stille. Ich betrachtet sein Profil von der Seite, während er sich auf den Feldweg konzentrierte. Sein Gesicht war von der Sonne deutlich gefärbt. Was darauf schließen ließ, dass er tatsächlich nicht ständig im Büro saß. Oder er kam gerade aus dem Urlaub. Um seine Augen waren feine weiße Striche. Ich fragte mich, ob er noch immer so gerne und oft lachte. Sein Lachen war immer ansteckend gewesen. Als Kinder hatten wir viel miteinander gelacht.
„Oh, ich bin öfter hier. Im Grunde genommen bin ich die halbe Zeit in Kanada und die übrige Zeit in Deutschland. Thomas kümmert sich um unsere ausländischen Niederlassungen.“
„Thomas arbeitet in der Firma?“, fragte ich erstaunt. „Hat er dann noch genug Zeit für das Training?“
„Er hat einen Trainer.“ Er warf mir einen schnellen Blick zu. Ich wich ihm aus, Henning sollte meine Unsicherheit nicht sehen. Mir war selber nicht klar, welche Gefühle ich Thomas gegenüber hegte. Im Grunde genommen hatte er die ganzen letzten Jahre keine Rolle mehr gespielt. Zumal ich bereits vor dem Unfall beschlossen hatte, dass er in mein Leben nicht passte. Oder kam meine Unsicherheit eher von dem Gedanken, dass es einen Trainer auf dem Hof gab? Jemand, der meine Arbeit machte? Ich musterte die Büsche am Wegesrand. Bereits auf meinem Heimflug war mir klar geworden, dass das hier nicht einfach werden würde.
„Keine Angst, die Wiesen sind alle leer. Die Pferde sind im Stall“, sagte Henning mit ruhiger Stimme. Er schien meine Gedanken zu lesen.
„Hast du Stefan gestern Abend noch gesehen?“, fragte er in das Schweigen hinein, das sich erneut zwischen uns ausbreitete.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin erst gegen Mitternacht gelandet. Mama und ich dürfen am Nachmittag zu ihm, weil sie heute Morgen einige Untersuchungen vornehmen möchten.“
„Wann wollt ihr los?“
„Mama meinte, sie wäre gegen sechzehn Uhr zurück.“
„Alles klar, bis dahin müssten wir fertig sein.“
Ich sah aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach. Die Wiesen, an denen wir vorbeikamen, sahen verwahrlost aus, und die Zäune machten einen brüchigen Eindruck. Ich runzelte die Stirn. Es war ungewöhnlich für meinen Vater, dass er die Dinge so verkommen ließ. In meiner Zeit, wo ich auf dem Hof arbeitete, hatte er mich oft genug bis an den Rand der Erschöpfung getrieben. Die Wiesen mulchen, abäppeln, Bänder spannen, Zaunpfosten ausbessern, Bodenproben nehmen, entsprechend der Ergebnisse düngen, Bereiche komplett neu einsäen, das alles war nur ein Teil meiner Aufgaben gewesen. Dazu war die Buchführung gekommen, Statistiken, Turnieranmeldungen, die Papiere der Pferde, Versicherungen, Urkunden, Einkäufe, Inventarlisten, Materialcheck und Investitionspläne. Und dann natürlich die Arbeit mit den Pferden. Futterpläne, Trainingspläne, Boxen misten, striegeln, Hufe pflegen, Zähne raspeln, Stall fegen, Geschirre und Sättel putzen, fetten, Pferde longieren, die Freiarbeit und das Reiten. Ich liebte den Winter, da blieb immer genug Zeit für die Pferde. Ansonsten hatten meine Arbeitstage sehr oft länger als zwölf Stunden gedauert. Etwas, das mich nie gestört hatte, denn ich liebte meine Arbeit.
Je weiter wir fuhren, desto mehr drängte sich mir der Zustand der Wiesen auf. Gab es denn niemanden außer Papa, der sich darum kümmerte?
„Das sieht hier ganz schön wild aus“, wandte ich mich an Henning.
„Du meinst die Wiesen?“
„Ja. Wen um alles in der Welt hat Papa denn für mich eingestellt?“
Henning sah kurz zu mir rüber.
„Niemand.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Was verstehst du daran nicht, Vera?“
„Na, irgendjemand muss ihm doch bei den landwirtschaftlichen Arbeiten, bei den Pferden und dem ganzen Bürokram helfen. Das alles kann Papa nicht alleine gemacht haben.“
Wir waren an der Wiese angekommen, Henning bremste den Wagen ab. Er drehte sich zu mir um.
„Für die Pferde hat Thomas einen Trainer eingestellt, wie ich vorhin bereits erwähnte. Ich glaube, es ist der sechste oder siebte, denn keiner hält es besonders lange mit Stefan aus. Bei den Wiesen hilft ihm manchmal Paul,
Weitere Kostenlose Bücher