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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Schuhen – schwer festzustellen, wer von den beiden der Junge war und wer das Mädchen.
    Die Trompeten schmetterten, die Abendsonne vergoldete die Welt, und der Walzer fuhr in die Beine und riss jeden mit. Mitja wurde plötzlich von einer so überschäumenden Lebensfreude ergriffen, dass er, ohne groß nachzudenken, Lena hochhob und mit ihr tanzte.
    »Darf ich bitten?«, fragte er förmlich.
    »Man fragt eigentlich erst, bevor man jemanden packt!«, lachte sie.
    Mitja tanzte zum ersten Mal im Leben mit einem Mädchen. In der Schule hatte er sich hin und wieder und natürlich stets unglücklich verliebt, widerstrebend war er sogar in Diskotheken gegangen. Aber er hatte nie gewagt, jemanden aufzufordern. Und später, als er studierte, gab er dieses hoffnungslose Unterfangen ganz auf.
    »Du tanzt wie ein dressierter Bär«, lachte Lena. »Gut, dass du mir nicht auf die Füße treten kannst!«
    Der Walzer war zu Ende, und Mitja, ganz außer Puste, setzte Lena wieder in den Rollstuhl.
    »Hast du gemerkt, wie sie alle vor uns zurückgewichen sind?«, fragte sie mit düsterer Miene.
    »Nein«, antwortete er vollkommen aufrichtig. »Ich habe nur dich angesehen. Und die Takte mitgezählt, um nicht rauszukommen.«

VIERZEHNTES KAPITEL
Boykott
    Vater Konstantin durfte Kostja nur bis zum Busbahnhof begleiten. Alle Bescheinigungen waren eingeholt, alle Anrufe getätigt, in der Schule wurde er erwartet, und Vater Konstantins Hilfe war tatsächlich nicht mehr vonnöten. Dass der Junge die Reise allein bewältigen würde, bezweifelte er nicht.
    Sie gerieten in die gleiche tote halbe Stunde bis zur Abfahrt des Busses wie zuvor Mitja und Lena. Auch Vater Konstantin schlug vor, ein Eis zu kaufen, aber Kostja lehnte mürrisch ab: Er verachtete Süßigkeiten. Außerdem war ihm jetzt nicht danach.
    Mit schwerer, stetig wachsender Wehmut wartete Kostja darauf, dass Vater Konstantin gleich nicht mehr an sich halten und ihm Belehrungen erteilen würde, und dann müsste er auch diesen Menschen aus seinem Leben streichen. Den letzten, den er nicht hasste.
    Doch der Geistliche schwieg. Er schien Kostja keine Geleitworte mit auf den Weg geben zu wollen. Er war einfach bei ihm. Wie schon die ganze Zeit zuvor. In Kostjas Herz regte sich vorsichtige Dankbarkeit, doch er ließ sie nicht heraus. Gute Gefühle mied er genauso wie Süßigkeiten: Für das Überleben waren sie überflüssig, wenn nicht sogar schädlich.
    Der Busmotor brummte auf, und die Fahrgäste stiegen ein.
    »Also dann«, sagte Kostja gereizt. »Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder.«
    Mit den Ellbogen Leute beiseite schubsend, drängte er sich in den Bus und ließ sich auf seinen Platz plumpsen. Zufrieden, dass es ohne Heulen und sonstige Gehirnwäsche abgegangen war, drehte er sich zur anderen Seite. Dorthin, wo die alte Weide stand. Die Schiebetür schloss sich gleitend.
    Vater Konstantin sah zu, wie der Bus auf dem Platz langsam wendete. Dicke Tauben flogen widerwillig kurz vor den Rädern auf und ließen sich auf dem Dach des Busbahnhofs nieder. Der Wind zauste an einem Laternenpfahl eine halb verwitterte Annonce, in der Hühnerjungvieh zum Kauf angeboten wurde.
    Im nächsten Augenblick fügte sich das Leben wieder zu einem Ganzen, wie das Wasser über einem hineingeworfenen Stein sofort zusammenfließt. Nur im menschlichen Herzen blieb die Leere der Trennung noch lebendig.
    Der Bus, der bereits auf die Straße hinausgefahren war, bremste plötzlich scharf. Aus einer Tür kam wie der Blitz Kostja geschossen und rannte zurück. Zwei Schritte vor Vater Konstantin stoppte er, als würde er sich besinnen, runzelte die Stirn und knurrte, den Blick wie üblich zur Seite gerichtet:
    »Ich, also. Jedenfalls. Danke.« Dann rannte er, so schnelle er konnte, zurück zum Bus, als befürchte er, eingeholt zu werden.
     
    Nach der Beerdigung der verrückten Ljubka befasste sich Rentner Gawrilow intensiv mit den drei alten Frauen, die den Gottesdienst besucht hatten. Vater Konstantins Worte, dass jeder Ljubka gegenüber schuldig sei, hatten den Kirchenältesten zutiefst beleidigt.
    »Klawdija, du weißt, ich halte die Fasten ein, am Feiertag arbeite ich nicht, und jeden Sonntag stehe ich in der Kirche«, beklagte er sich bei seiner Frau. »Mit welchem Recht macht er mir irgendwelche Vorwürfe? Er selber hat sie zum Suff verführt, und wir sollen uns dafür verantworten! Ein sauberer Patron!«
    Die ganze Woche lief Gawrilow immer wieder zu den Alten, trank lange mit ihnen Tee und

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