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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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agitierte sie eifrig, vorerst nicht in die Kirche zu gehen, sondern einen Brief an den Metropoliten zu unterschreiben, den er als Ältester natürlich bereits verfasst hatte.
    Auf drei Seiten waren darin sämtliche Sünden von Vater Konstantin aufgeführt, mit ausführlichen Verweisen auf die Kirchengesetze und das Strafgesetzbuch. Von der gotteslästerlichen Ikone mit den Hunden im Paradies, der Evangeliumlesung auf Russisch statt in der Kirchensprache bis hin zu Ljubkas Beerdigung ohne vorheriges polizeiliches Protokoll. In diesen letzten Punkt setzte der gesetzesliebende Rentner die größten Hoffnungen.
    Klawdija, dem Priester seit langem gram, weil er nicht an Wunder glaubte, behinderte die Initiative ihres Mannes nicht. Doch weil sie sich nicht persönlich an dem Boykott beteiligen und für alle Fälle ein anständiges Alibi haben wollte, begab sie sich auf Pilgerreise zu einer heiligen Quelle, in jenes Kloster, aus dem Stas stammte, der Junge, der an seiner Autobiographie schrieb.
     
    Am Sonnabend begann Vater Konstantin den Abendgottesdienst in der leeren Kirche. Kurz darauf erschien Nastja keuchend auf der Dorfstraße. Der umsichtige Gawrilow wachte am Kirchentor. Getäuscht von Nastjas treuherzigem Blick, legte er ihr sämtliche Argumente dar. Nastja hörte ihn aufmerksam an. Als er fertig war, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken:
    »Gestatten Sie, lassen Sie mich durch, da drin haben sie schon angefangen« – und versuchte, um den Rentner herumzugehen, der die Pforte versperrte.
    »Ich gestatte nicht!«, tönte er, sich aufplusternd, denn er hatte nun begriffen, dass Diplomatie bei Nastja nicht half. »Wir haben hier einen Boykott verhängt, also verschwinde! Wenn es so dringend ist, geh in eine andere Kirche. Bis Pustoje Roshdestwo ist es nicht viel weiter.«
    Nastja zwinkerte verständnislos und versuchte erneut, auf den Hof zu gelangen. Gawrilow geriet außer sich und fuhr schweres Geschütz auf.
    »Ich kann dein blödes Dorf mit einem Schlag vernichten!«, zischte er. »Ich schicke euch die Einwanderungsbehörde auf den Hals, dann ist es aus mit euch! Denkst du, ich weiß nicht, dass unsere ausländischen Freunde illegal hier sind? Und die Irren kommen wieder in ihre Heime. Ihr beutet ihre Arbeitskraft aus, das ist gegen das Gesetz!«
    »Was sagen Sie da?!« Nastja erstarrte. »Warum? Weshalb?«
    »Ah, kapiert, ja?! Dann hau ab! Ich will dich hier nie wieder sehen!«
    Nastja machte sich weinend auf den Heimweg. Hin und wieder sah sie sich um, doch der Rentner wachte nach wie vor am Tor, beide Arme in die Hüften gestemmt. Und jedes Mal, wenn Nastja sich umwandte, drohte er ihr mit der Faust.
     
    Den Rest des Abends wartete Gawrilow mit stockendem Herzen, dass der in Ungnade gefallene Pope nach dem Gottesdienst in der leeren Kirche zu ihm gelaufen käme, um zu erfahren, was los sei. Die Beschwerde an den Metropoliten hatte Gawrilow schon am Morgen abgeschickt, und er war keineswegs gewillt, einen Rückzieher zu machen; doch sich am Anblick des besiegten Gegners zu weiden, ihm eine väterliche Predigt zu halten – dagegen hätte er nichts einzuwenden gehabt. Doch Vater Konstantin kam nicht.
    Da nutzte Gawrilow wenigstens die Abwesenheit seiner Frau und verfasste verärgert einen Brief an die Einwanderungsbehörde. Im Eifer des Gefechts empfahl er, nicht nur das Dummendorf zu kontrollieren, sondern auch das Sägewerk, wo sich sieben Tadschiken versteckten.
    »Lass dich nicht einschüchtern«, sagte Sarah zur selben Zeit zu Nastja. »Früher oder später macht er das sowieso. Ignoriere seine billige Erpressung einfach. Geh, in welche Kirche du willst.«
     
    Am nächsten Morgen brachte Nastja alle Bewohner von Dummendorf außer Lena mit in die Kirche. Der gottesfürchtige Stas küsste die Ikonen ab wie alte Bekannte, sank in einer Ecke auf die Knie und erstarrte, die Arme gegen die Brust gepresst. Die Übrigen, die zum ersten Mal im Leben einen Gottesdienst besuchten, verteilten sich mit scheuen Blicken in der Kirche.
    Nastja stand in der Mitte, bereit, jedem ihrer Schützlinge im Fall des Falles zu Hilfe zu eilen. Doch die benahmen sich anständig, zeigten sogar eine gewisse spontane Ehrfurcht – sie redeten kaum, belästigten Vater Konstantin nicht und gingen nirgendwohin, wohin sie nicht sollten. Nur die flinke magere Julia, die heimliche Liebe des Präsidenten Ljonja, konnte nicht an sich halten und versuchte, auf das Baugerüst zu klettern. Doch Nastja konnte sie erstaunlich schnell dazu

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