Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Gefährten bezeichnete. Wir sind eine Gesellschaft.«
»Aber welchen Wert haben sie hier für uns? Bis auf Stilgar und Harah ist niemand unter ihnen, dessen Gesellschaft mir etwas bedeutet.«
»Ah!« hatte Paul gesagt und ihr seine schrecklichen Augenhöhlen zugekehrt. »Wir haben das Gefühl für das einfache, klare Leben verloren, das zweckfrei ist. Wenn es nicht zurechtgebogen, zugespitzt oder irgendwelchen Zwecken untergeordnet werden kann, messen wir ihm keinen Wert bei.«
»Das ist nicht, was ich meinte.«
»Ach, Liebes«, hatte er gesagt, »wir sind so reich an Geld und so arm an Leben. Ich bin schlecht, dickköpfig, dumm ...«
»Das bist du nicht.«
»Möglich. Aber manchmal ist mir zumute, als versuchte ich das Leben zu erfinden, ohne zu erkennen, daß es schon erfunden ist.«
Und er hatte ihren Leib berührt, um das neue Leben dort zu fühlen.
Als sie jetzt über das Gespräch nachdachte, ärgerte sie sich, daß sie Paul zu einem Aufenthalt in der Wüste gedrängt hatte. Dies war nicht, was sie gewünscht und erhofft hatte.
Der Wind trug ihr üble Gerüche von den künstlich bewässerten Gemüsepflanzungen in einer sandigen Senke zu. Die Bewohner des Sietch hatten die kleinen Felder im Schatten eines Felskegels angelegt und pflegten sie mit ihren eigenen Exkrementen zu düngen. Ein alter Aberglaube kam ihr in den Sinn: Schlechte Gerüche, schlechte Zeiten. Sie trat auf die Leeseite eines großen Blocks und ließ ihren Blick hinausschweifen. Weit draußen tauchte ein Wurm zwischen den Dünen auf. Er hob sich wie der Bug eines Dämonenschiffs über die Kämme, warf Sandfontänen auf und tauchte wieder unter. Sie sah seine Bewegungen noch eine Weile unter einem wandernden Sandhügel, dann war er weg.
Sie wandte sich um. Ein Arbeitstrupp von Einheimischen mit Hacken und Körben stieg langsam den Serpentinensteig zum Sietch hinauf. Die Männer hatten offenbar in der Gemüsepflanzung gearbeitet, und Chani sah, daß trocknender Schlamm an ihren Beinen klebte.
Die Zeiten hatten sich geändert.
Irgendwo über ihr begannen Kinder den Morgen zu besingen. Die hellen Stimmen klangen dünn und unwirklich aus der Felswildnis. Chani lauschte ihnen und fühlte die Zeit von ihr fliehen wie Falken vor dem Wind. Sie erschauerte.
Welche Stürme sah Paul in seiner augenlosen Vision?
Sie fühlte einen bösartigen Verrückten in ihm, einen, der aller Worte überdrüssig war.
Sie bemerkte, daß der Himmel von kristallenem Grau war, durchschossen mit den blaßweißen Strahlen der Morgensonne. Hohe Staubwolken filterten das Licht. Mit plötzlich wachsamem Blick beobachtete sie einen schmutzigweißen Streifen im Süden. Seit ihrer Kindheit wußte sie, was das bedeutete. Weißer Himmel im Süden: Shai-Huluds Maul. Ein Sturm zog auf. Sie glaubte die Warnung schon im Wind zu fühlen, der mehr und mehr auffrischte und kleine Sandkristalle in ihr ungeschütztes Gesicht blies, wo sie leise prickelten. Das Wasser, dachte sie. Das ist der Grund, weshalb Shai-Hulud seinen Corioliswind schickt.
Raubvögel kamen in die Scharte der Paßhöhe gesegelt und ließen sich auf der Leeseite der Felsen auf geschützten Vorsprüngen nieder. Sie waren rotbraun wie das Gestein, mit scharlachroten Abtönungen im Gefieder der Schwingen. Chani blickte sehnsüchtig zu ihnen hinüber: sie hatten einen Ort, wo sie sich verstecken konnten; sie hatte keinen.
Sie hörte einen lauten Ruf und drehte sich um. Hayt stand oben vor den Höhleneingängen, schrie ihr zu und bedeutete ihr heraufzukommen.
Sie machte eine bestätigende Geste und ging langsam den Felssteig hinauf. Der Wind zerrte an ihren Kleidern, überschüttete sie mit prickelnden Sandschauern, rötete ihre Wangen. Sie blickte über die Schulter. Der erschreckende Streifen am Südhimmel war jetzt viel breiter, und man konnte erkennen, daß die Wetterfront aus kilometerhoch aufgewirbelten Staubwolken bestand. Die Wüste hatte unter dem Sturm ein graugelbes, rastlos bewegtes Aussehen angenommen, als ob Dünenwellen gegen eine Küste brandeten, so wie Paul einmal ein Meer beschrieben hatte. Sandfahnen wehten von den Dünenkämmen. Sie zögerte, gefangen von einem Eindruck der Vergänglichkeit selbst dieser Wüste. Gemessen an der Ewigkeit, war das hier nicht mehr als ein Herzschlag.
Der Sturm nahm mit jeder Minute an Heftigkeit zu. Flugsand prasselte gegen die Felsen, der Wind pfiff schrill durch die Bergscharten, irgendwo kollerte ein losgelöster Block durch eine Steilrinne, riß lockeren
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