Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
gewonnen, was er zu gewinnen hoffte.«
»Ihr Vater weiß es nicht?« fragte Scytale.
»Sie selbst weiß es nicht«, sagte Farok. »Mein Sohn gibt ihr falsche Erinnerungen ein, mit denen sie sich ihre Besuche erklärt. Sie glaubt ihn zu lieben. Das ist auch, was ihre Familie glaubt. Ihre Angehörigen sind entrüstet, weil er kein vollkommener, gesunder Mann ist, aber sie können ihr die Besuche natürlich nicht gut verbieten.«
Die Musik verebbte in Stille.
Auf eine Geste des jungen Burschen hin setzte das Mädchen sich neben ihn und beugte sich lauschend zu ihm, als er zu ihr leise etwas sagte.
Scytale ließ seinen Blick wieder über den Innenhof schweifen. »Wer ist sonst noch in diesem Haus?« fragte er.
»Wir sind jetzt alle hier«, antwortete Farok. »Was wollen Sie von dem Mädchen? Mein Sohn möchte es gern wissen.«
Als ob er antworten wollte, streckte Scytale seinen rechten Arm aus. Aus dem Ärmel seines Gewands schoß eine blitzende Nadel und bohrte sich wie ein Pfeil in Faroks Hals. Der alte Mann schrie nicht, veränderte nicht einmal seine Haltung. In einer Minute würde er tot sein, aber er saß unbeweglich, gefroren vom Gift des Pfeils.
Scytale erhob sich gemächlich und überquerte den Innenhof, ging zu dem Musikanten. Der junge Mann murmelte immer noch mit dem Mädchen, als sich der Pfeil in ihn bohrte.
Scytale nahm das Mädchen am Arm, zog es sanft auf die Füße. Er hatte sein Aussehen verändert, bevor sie ihn ansah. Sie richtete sich auf und sah ihn mit umflortem Blick an.
»Was ist, Farok?« fragte sie.
»Mein Sohn ist müde und muß ausruhen«, sagte Scytale. »Komm. Wir benützen den hinteren Ausgang.«
»Es war ein so nettes Gespräch«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe ihn dazu überredet, daß er sich künstliche Augen einsetzen läßt. Er würde ein anderer Mensch sein – ganz wiederhergestellt.«
»Habe ich das nicht schon oft gesagt?« fragte Scytale, während er sie in einen der rückwärtigen Räume drängte.
Seine Stimme, so bemerkte er mit Befriedigung, paßte genau zu seinen Zügen. Es war unverkennbar die Stimme des alten Farok, der in diesem Augenblick ohne Zweifel bereits tot war.
Scytale seufzte. Er hatte es mit Sympathie getan, sagte er sich, und die Opfer hatten gewiß um ihre Gefährdung gewußt. Nun würde die junge Frau ihre Chance bekommen.
5
Während der Zeit ihrer Errichtung leiden Imperien selten an Ziellosigkeit. Erst wenn sie etabliert sind und keine äußeren Bedrohungen mehr existieren, gehen Ziele verloren und werden durch vage Rituale ersetzt.
»Worte des Muad'dib«
von Prinzessin Irulan
Alia merkte gleich, daß diese Sitzung der Ratsversammlung unter einem Unstern stand. Sie fühlte untergründige Spannungen, Energien, die zur Entladung drängten: Irulan vermied es, Chani anzusehen, Stilgar blätterte nervös in einem Aktenstoß, Paul bedachte Korba, den Qizara, mit düsteren Blicken, alle saßen steif und unbehaglich auf ihren Stühlen.
Sie selbst saß am Ende des Konferenztisches, so daß sie wenigstens den Vorteil hatte, aus den Fenstern ins staubig-diesige Nachmittagslicht sehen zu können. Als sie sich wieder der Diskussion zuwandte, hörte sie, wie Korba zu Paul sagte: »... was ich meine. Es gibt nicht so viele Götter wie in früheren Zeiten.«
Alia lachte kurz auf, und Korbas Gesicht nahm eine Farbe an, die der seines arroganten Gewandes ähnelte. Er warf Alia einen erbitterten Blick zu, ein zorniger Gnom, kahl und geprägt vom Starrsinn des Alters.
»Wissen Sie, was über Ihren Bruder gesagt wird?« fragte er giftig, erbost über den mangelnden Respekt dieses unreifen Geschöpfs vor dem Alter.
Korba warf Paul einen um Unterstützung heischenden Blick zu und sagte: »Wir sind bescheidene Mittler des Wortes. Muad'dib soll die Wahrheit von seinem Volk wissen, und das Volk soll seine Wahrheit wissen.«
»Spione«, sagte Alia. »Gesinnungsschnüffler.«
Korba preßte seine dünnen Lippen aufeinander und blickte in verletztem Schweigen weg.
Paul sah seine Schwester tadelnd an, aber sie merkte nichts davon, weil ihr spöttischer Blick noch immer auf Korba gerichtet war. Paul fragte sich, warum sie den alten Mann provozierte, und wie er sie forschend betrachtete, wurde ihm auf einmal bewußt, daß Alia zur Frau erblüht war, schön in der Unschuld ihrer Jugend. Er war ein wenig überrascht, daß er es bis zu diesem Moment nicht bemerkt hatte. Sie war erst sechzehn, eine Ehrwürdige Mutter ohne Mutterschaft, eine
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