Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
gehorche es einem Naturgesetz«, sagte Paul. »Aber es wäre genauso korrekt zu sagen, es sei der Himmel, der zu uns spreche, oder die Fähigkeit, in der Zukunft zu lesen, sei eine durch Drogeneinnahme bewirkte, gezielte Bewußtseinserweiterung. Mit anderen Worten, die seherische Gabe ist zufälligen und unwillkürlichen Charakters. Solche Gaben können nicht aus einer Haltung heraus angewendet werden, die Ziele und Zwecke vorschreibt. Kann ein Stück Holz, das von einer Welle erfaßt wird, sagen, wohin es getrieben wird? Im Orakel gibt es nicht Ursache und Wirkung. Ursachen werden Gelegenheiten oder Übertragungen und Zusammenflüsse, Stellen, wo die Strömungen sich treffen. Akzeptiert man diese Zusammenhänge, muß man sich mit Konzeptionen abfinden, die dem Intellekt widerstreben. Das intellektuelle Bewußtsein weist sie zurück. Durch die Zurückweisung wird der Intellekt ein Teil des Prozesses und unterjocht.«
»Sie können es nicht tun?« fragte Stilgar.
»Würde ich Tupile mit meinem seherischen Talent suchen«, sagte Paul, »könnte gerade dies Tupile vor mir verbergen.«
»Das wäre reines Chaos«, sagte Irulan. »Es hat keine ... keine Kausalität.«
»Ich sagte, daß das Phänomen keinem Naturgesetz gehorcht«, antwortete Paul.
»Dann ist das, was du mit deinen Kräften sehen oder tun kannst, relativ begrenzt?« forschte Irulan.
Bevor Paul antworten konnte, sagte Alia: »Liebe Irulan, das zweite Gesicht kennt keine Grenzen. Und Kausalität ist nicht notwendig ein Aspekt des Universums.«
»Aber er sagte ...«
»Wie kann mein Bruder dir präzise Informationen über die Grenzen von etwas geben, das keine Grenzen hat?«
Das war boshaft von Alia, dachte Paul. Es würde eine Frau wie Irulan alarmieren, die ein so präzises Bewußtsein hat, so abhängig von Werten ist, die sich genau eingrenzen lassen. Sein Blick wanderte zu Korba, der in einer Haltung religiöser Andacht dasaß und mit der Seele lauschte. Wie konnte das Qizarat diese Erklärungen verwenden? Mehr religiöse Mysterien, etwas zum Erwecken von Ehrfurcht? Ohne Zweifel.
»Dann werden Sie den Vertrag in seiner vorliegenden Fassung unterzeichnen?« fragte Stilgar.
Paul lächelte. Für Stilgar war die Angelegenheit mit dem Orakel geklärt; es war eine unsichere Sache, auf die man nicht bauen konnte. Stilgar zielte nur auf klare Verhältnisse ab, nicht auf Entdeckung der Wahrheit. Frieden, Gerechtigkeit und eine gesunde Währung – darin war Stilgars Universum verankert. Er wollte etwas Sichtbares und Reales: eine Unterschrift auf einem Vertrag.
»Ich werde unterschreiben«, sagte Paul.
Stilgar nahm eine neue Akte auf. »Die letzten Nachrichten von unseren Feldkommandeuren im Sektor Ixian sprechen von Unzufriedenheit bei den Truppen und Agitation für eine Verfassung.« Er blickte zu Chani. Sie zuckte die Achseln.
Irulan, die ihre Augen geschlossen und die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen gepreßt hatte, ließ die Hände sinken und sah Paul aufmerksam an.
»Die Ixian-Föderation bietet Unterwerfung an«, fuhr Stilgar fort, »aber ihre Unterhändler beanstanden die Höhe der kaiserlichen Steuer ...«
»Sie wollen eine gesetzliche Begrenzung meiner Befugnisse«, sagte Paul. »Wenn ich mich darauf einließe, wer würde mich kontrollieren, der Landsraad oder die MAFEA?«
Stilgar zog eine Aktennotiz aus den Papieren. »Einer unserer Agenten schickte uns ein vertrauliches Rundschreiben der oppositionellen Fraktion im Landsraad, gerichtet an ihre Förderer in Industrie und Adel.« Er las den Text mit hölzerner Stimme vor: »Dem Drängen des Throns nach einem umfassenden Machtmonopol muß Einhalt geboten werden. Es wird sich als notwendig erweisen, mit Hilfe der sympathisierenden Massenmedien die Wahrheit über Atreides zu verbreiten und deutlich zu machen, wie er die gesetzgebende Gewalt des Landsraads mißbraucht, brutale Annexionen als religiöse Einigung tarnt und die Verwaltungsbürokratie zum Kontrollinstrument für alle Bereiche des Lebens ausbaut.« Er steckte das Papier wieder in die Akte.
»Eine Verfassung«, murmelte Chani.
Paul blickte zu ihr hin und dann wieder zu Stilgar. So gerät der Djihad ins Stocken, dachte er, aber nicht früh genug, um mich zu retten. Der Gedanke produzierte emotionale Spannungen. Er entsann sich seiner frühesten Visionen des damals noch zukünftigen Djihad und des Entsetzens und Abscheus, die er verspürt hatte. Jetzt konnte er sich schlimmere Visionen denken. Er hatte jahrelang mit Gewalttat und
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