Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Hintergrund von Türen, Mauern, Freskomalereien. Die Menschen waren Fresken! Er schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete, hatte er das Bild wie festgefroren in seinem Gedächtnis. Ein Fries.
Ein Mond fällt und ist fort.
Ein Gefühl überkam ihn, daß die Stadt dort draußen zu einem seltsamen Symbol seines Universums verwandelt sei. Wo heute Gebäude standen, hatten einst die Sardaukar-Legionen ihre Niederlage erlitten. Kaum noch etwas, das an jene Tage erinnerte.
Paul wanderte langsam an der Balustrade entlang und bog um die Ecke. Nun war seine Aussicht eine Vorstadt, deren ärmliche Gebäude sich in Blockfeldern und angewehtem Wüstensand verloren. Alias Tempel beherrschte den Vordergrund. Die tausend Meter langen Seitenwände, verkleidet mit grünen und schwarzen Kacheln, stellten das Mondsymbol Muad'dibs zur Schau.
Ein fallender Mond.
Paul fuhr mit der Hand über Augen und Stirn. Diese symbolbeladene Metropole bedrückte ihn. Er verabscheute seine eigenen Gedanken. Ein solch haltloses Schwanken bei einem anderen hätte seinen Zorn wachgerufen.
Trotzdem: Er verabscheute seine Stadt. Sie ekelte ihn auf einmal an.
Eine Wut, die in Langeweile wurzelte, kochte tief in ihm, genährt von Entscheidungen, die nicht vermieden werden konnten. Er wußte, welchem Pfad sein Fuß folgen mußte. Er hatte ihn oft genug gesehen, nicht wahr? Gesehen! Einmal, vor langer Zeit, hatte er sich als einen Neuerer gesehen, als einen Reformator von Regierung und Verwaltung. Aber die Trägheit der Apparate war stärker gewesen, und bald war alles in die alten Muster zurückgefallen. Es war wie eine Gummimaske; man konnte sie ziehen und drücken und in jede beliebige Form bringen, ließ man sie los, nahm sie sofort wieder die alten Umrisse an. Kräfte, die außerhalb seiner Reichweite in den Herzen und Gehirnen von Menschen am Werk waren, entzogen sich ihm, trotzten ihm.
Paul starrte über die Dächer hinaus. Welche Schätze ungehemmten Lebens lagen unter jenen Dächern? Er sah grüne Innenhöfe und offene Gärten zwischen dem Rostrot der Dächer. Grün, das Geschenk Muad'dibs und seiner Wasserleitungen. Schattenspendende Bäume und Obstgärten lagen in seinem Blickfeld, blühende Büsche und Rankengewächse, die ganze Hauswände mit ihrem Blattgrün bedeckten.
»Muad'dib verschwendet Wasser wie ein Verrückter«, pflegten die Fremen zu sagen.
Paul bedeckte die Augen mit den Händen.
Der Mond fiel.
Er ließ die Hände sinken und sah seine Stadt mit klarem Blick. Die öffentlichen Gebäude im Zentrum, die Bauten im engeren Bereich der Zitadelle nahmen auf einmal eine Aura monströser Barbarei an, protzige Zeugnisse imperialer Gigantomanie. Riesig und hell standen sie unter der nördlichen Sonne, erdrückten mit ihren kolossalen Maßen die umliegenden Wohnviertel. Jede architektonische Extravaganz, die eine wahnsinnige Geschichte hervorbringen konnte, war in seinem Blickfeld zu finden: Terrassen von der Größe städtischer Plätze, Plätze von der Größe einer Stadt, Parks mit Riesenstatuen aus farbigem Gußstein.
Einzigartige Kunstwerke der Architektur standen Seite an Seite mit scheußlichen Machwerken unaussprechlicher Geschmacklosigkeit. Sein Auge suchte Details, die er liebte: ein hohes, schlankes Minarett von der sagenhaften Blauen Moschee im alten Istanbul ... eine Kuppel aus dem mythischen Damaskus ... ein Tor vom Planeten Atar, Relikt einer verschwundenen, unbekannten Kultur ... Alles zusammen schuf eine Wirkung von großartiger Pracht und skurriler Phantastik, die ihresgleichen nicht hatte.
Ein Mond! Ein Mond!
Frustration war ein bitterer Geschmack in seinem Mund. Er fühlte den Druck unbewußter Massen, das unkontrollierbare Ausströmen der Menschheit ins Universum. Er fühlte die ungeheuren Wanderungsbewegungen, Ströme, brandende Gezeiten, gegen die es keine Dämme gab.
In dieser größeren Bewegung war Muad'dibs Djihad weniger als ein Augenblick. Die Bene Gesserit mit ihren Genmanipulationen, die diese Ströme zu leiten glaubten, wurden in Wahrheit von ihnen mitgerissen, und irgendwo wartete der Strudel, der sie ins Vergessen ziehen würde. Visionen von einem fallenden Mond mußten an anderen Legenden gemessen werden, anderen Visionen in einem Universum, wo selbst die anscheinend ewigen Sterne verblaßten, flackerten, starben ...
Welche Bedeutung hatte ein einzelner Mond in einem solchen Universum?
Tief im Innern seiner Zitadelle, so tief, daß die Klänge sich zuweilen im Fluß der Stadtgeräusche
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