Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
verloren, klimperte eine zehnsaitige Rebaba zu einem monotonen Lied aus dem Djihad, einem Klagegesang um eine auf Arrakis zurückgebliebene Frau:
Die Hüften wie Dünen, geglättet vom Wind,
Hitze des Sommers in ihren Augen –
Zwei Zöpfe von Haar hängen tief auf den Rücken,
Schwer von Wasserringen, ihr Haar!
Meine Hände erinnern sich ihrer Haut,
Wie Sandelholz duftend, von Blumen geküßt.
Ach, das Bild will mir nicht aus dem Sinn ...
Ein Geblendeter bin ich, Opfer der Liebe!
Das Lied machte ihn krank. Ein Lied für einfältige Kreaturen, verloren in stumpfsinniger Sentimentalität! Warum nicht den von der Wüste verzehrten Leichnam besingen, den Alia gesehen hatte?
Hinter dem Filigranwerk der Fenster bewegte sich eine Gestalt zum Balkon. Paul fuhr herum.
Der Ghola kam heraus in die trockene Glut des Sonnenscheins. Seine Metallaugen schimmerten im Licht.
»Was wollen Sie, Hayt?« fragte Paul. Und er dachte: Was kann ein Zensunni-Philosoph sagen oder tun, um nur ein Jota der Realität zu verändern, die in diesem Moment vor uns abrollt?
»Mein Herr ist bekümmert.«
Paul wandte sich ab und starrte zu den fernen Gipfeln des Schildwalls, sah windgehöhlte Bogen und sandgeschliffene Pfeiler, schreckliche Nachahmung seiner Stadt. Die Natur parodierte ihn! Sieh, was ich bauen kann! Er sah eine Scharte im fernen Felsmassiv, frische Abbrüche eines gigantischen Felssturzes, und dachte: Dort! Dort schlugen wir Shaddam!
»Eine Vision«, flüsterte Paul.
»Als die Tleilax mich das erstemal weckten, hatte auch ich Visionen. Ich war rastlos, einsam ... ohne es wirklich zu wissen. Meine Visionen enthüllten nichts. Die Tleilax sagten mir, es sei eine Zudringlichkeit des Fleisches, die Menschen und Gholas in gleicher Weise erleiden, eine Krankheit, nichts weiter.«
Paul drehte sich langsam um und sah in die Augen des Ghola, diese metallischen Kugeln ohne Ausdrucksfähigkeit. Von welcher Art waren die Visionen, die solche Augen sahen?
»Hayt«, sagte Paul.
»Ja, Herr?«
»Ich sah einen Mond fallen«, sagte Paul. »Er war fort, zerstört. Ich hörte ein gewaltiges Zischen. Die Erde bebte.«
»Sie sind von zuviel Zeit trunken«, antwortete der Ghola.
»Ich verlange den Zensunni und kriege den Mentaten!« sagte Paul. »Aber auch das mag sein Gutes haben. Filtern Sie meine Vision durch Ihre Logik, Mentat. Analysieren und reduzieren Sie sie auf bloße Worte, die man begraben kann.«
»Begraben, in der Tat«, sagte der Ghola. »Sie fliehen vor dem Tod, Paul Muad'dib. Sie stemmen sich gegen den nächsten Augenblick, weigern sich, hier und jetzt zu leben. Vorbedeutungen! Welch eine Krücke für einen Herrscher!«
Paul fand sich plötzlich fasziniert von einer Warze am Kinn des Ghola, einer Warze, an die er sich nur zu gut erinnerte.
»Wenn Sie den Versuch machen, in dieser Zukunft zu leben«, sagte der Ghola, »geben Sie einer solchen Zukunft dann auch Substanz? Machen Sie sie zur Wirklichkeit?«
»Wenn ich den Weg meiner Zukunftsvision gehe, werde ich dann am Leben sein?« murmelte Paul. »Was bringt sie auf den Gedanken, ich wolle dort leben?«
Der Ghola entgegnete achselzuckend: »Sie verlangten eine substantielle Antwort von mir.«
»Wo gibt es Substanz in einem Universum, das aus Ereignissen besteht?« fragte Paul. »Gibt es eine endgültige Antwort? Produziert nicht eine jede Lösung nur neue Fragen?«
»Sie haben soviel Zeit verdaut, daß Sie Vorspiegelungen von Unsterblichkeit haben«, erklärte der Ghola. »Selbst Ihr Imperium, mein Gebieter, lebt nur auf sein Ende hin und muß sterben.«
»Sie brauchen keine rauchgeschwärzten Altäre vor mir paradieren zu lassen«, grollte Paul. »Ich habe genug traurige Geschichten von Göttern und messianischen Gestalten gehört. Warum sollte ich besondere Gaben benötigen, um mein eigenes Leben und Werk genauso in Ruinen zu sehen wie alle diese anderen? Mein niedrigster Küchengehilfe kann das.« Er schüttelte den Kopf. »Der Mond fiel!«
»Sie haben Ihren Geist vor dem Beginn dieser Vision nicht zur Ruhe gebracht«, sagte Hayt.
»Das ist richtig«, entgegnete Paul. »Ich konnte es nicht. Ist das die Art und Weise, wie Sie mich zerstören, Hayt? Indem Sie mich daran hindern, meine Gedanken zu sammeln?«
»Können Sie das Chaos sammeln?« fragte der Ghola. »Wir Zensunni sagen: ›Nicht zu sammeln, das ist die eigentliche Ernte.‹ Was können Sie sammeln, ohne sich selbst zu sammeln?«
»Ich werde von einer Vision gepeinigt, und Sie verbreiten Unsinn?«
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