Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
Chenoeh. Behalte meine Worte gut, denn ich will nicht, daß sie verlorengehen!«
Ich versichere meinen Schwestern, daß das, was nun folgt, die exakten Worte Lord Letos sind, wie er sie äußerte:
»Ich weiß mit Gewißheit, daß dann, wenn ich nicht mehr bewußt unter euch weile, wenn ich nur noch eine furchteinflößende Wüstenkreatur bin, viele Leute mich im nachhinein als einen Tyrannen ansehen werden.
Und nicht einmal zu Unrecht. Ich habe mich tyrannisch verhalten.
Ich werde für sie ein Tyrann sein – kein hundertprozentig menschlicher und auch kein wahnsinniger, sondern nur ein Tyrann. Aber selbst gewöhnliche Tyrannen haben Motive und Gefühle, die über das hinausgehen, was ihnen von leichtfertigen Historikern zugeschrieben wird. Für die Historiker werde ich ein mächtiger Tyrann gewesen sein. Also sind meine Gefühle und Motive ein Vermächtnis, das besser im Dunkeln bleibt, weil sie den Geschichtsverlauf zu stark verwirren könnten. Die Geschichte versteht es, manche Charakteristika ins rechte Licht zu rücken, während sie andere völlig außer acht läßt.
Man wird mich zu verstehen und in eine Schablone zu pressen versuchen. Man wird nach der Wahrheit forschen, aber die Wahrheit enthält stets die Doppeldeutigkeit der Worte, mit denen man sie artikuliert.
Ihr werdet mich nie verstehen. Je mehr ihr euch anstrengt, desto ungreifbarer werde ich sein, bis ich schließlich nichts anderes mehr sein werde als ein ewigwährender Mythos – allerwenigstens ein Lebendiger Gott!
Das ist es, verstehst du? Ich bin kein Führer; ich bin nicht einmal ein Scout. Ein Gott. Vergiß das nicht! Ich unterscheide mich beträchtlich von Führern und Scouts. Götter brauchen keinerlei Verantwortung zu übernehmen – ausgenommen für die Schöpfung selbst. Götter akzeptieren alles und nichts. Götter müssen zwar identifizierbar sein, gleichzeitig aber auch anonym bleiben. Götter brauchen keine Sinneswelt. Meine Sinne leben in mir, können auf jede Frage sofort eine Antwort geben. Was ich von ihnen und durch sie gelernt habe, teile ich mit euch, weil es mir gefällt. Diese Sinne sind meine Wahrheit.
Sei auf der Hut vor der Wahrheit, geduldige Schwester. Obwohl man ihr unermüdlich auf den Fersen ist, kann sie für den Suchenden oftmals gefährlich sein. Mythen und sich hartnäckig haltende Lügen kann man viel leichter finden und glauben. Wenn man eine Wahrheit findet – selbst eine solche, die nur zeitweilig stimmt –, kann sie dazu führen, daß man sich schmerzhafter Veränderungen unterwerfen muß. Verberge deine Wahrheiten innerhalb von Worten. Ihre natürliche Doppeldeutigkeit wird dich dann beschützen. Worte sind viel leichter zu absorbieren als die scharfen Stiche eines delphischen Omens. Mit Worten kannst du im Refrain mit den anderen ausrufen: Warum hat mich niemand gewarnt?
Aber ich habe dich gewarnt. Ich habe dich mit einem Beispiel gewarnt, nicht mit Worten.
Unvermeidlicherweise gibt es viel mehr Worte als nötig. Selbst jetzt speicherst du sie in deinem wunderbaren Gedächtnis. Und eines Tages wird man meine Tagebücher entdecken – noch mehr Worte. Ich warne euch: Ihr lest meine Worte auf eigene Gefahr. Die wortlose Bewegung der schrecklichen Ereignisse liegt knapp unter ihrer Oberfläche. Seid taub! Ihr braucht nicht zuzuhören. Wenn ihr es dennoch tut, seid ihr nicht gezwungen, euch an sie zu erinnern. Wie beruhigend das Vergessen ist. Und wie gefährlich!
Worte wie die meinen hat man seit langem an ihrer mysteriösen Kraft erkannt. Es gibt ein geheimes Wissen, das man dazu benutzen kann, die Vergeßlichen zu gängeln. Meine Wahrheiten sind die Substanz von Mythen und Lügen, die Tyrannen ewig eingesetzt haben, um die Massen nach ihrem egoistischen Willen zu steuern.
Versteht ihr? Ich teile alles mit euch, selbst das größte Rätsel aller Zeiten; das Rätsel, nach dem ich mein Leben lebe. Und ich offenbare es euch in Worten: ›Die einzige Vergangenheit, die fortdauert, liegt wortlos in euch selbst.‹«
Dann schwieg der Gott-Kaiser. Ich wagte die Frage: »Ist das alles, Herr, was Ihr mich zu speichern verlangt?«
»Das sind die Worte«, sagte der Gott-Kaiser, und ich hatte den Eindruck, als sei er müde und entmutigt. Er hatte sich angehört wie jemand, der seinen Letzten Willen diktiert. Mir fiel ein, daß er gesagt hatte, er werde mich nie wiedersehen. Ich hatte Angst und kann meine Ausbilder nur preisen, daß sie sich nicht in meiner Stimme offenbarte.
»Herr«, sagte ich, »diese
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