Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
darstellte, ein Frühaufsteher wie die Fischer von Caladan. Der Atreides-Erbe streifte allein durch die oberen Stalaktit-Gebäude, trat an Aussichtsfenster und warf einen Blick in Entwicklungslaboratorien oder Fabrikationshallen. Er lernte, wie man die Transitsysteme benutzte und stellte fest, dass die Biodaten-Karte, die er von Graf Vernius erhalten hatte, ihm viele Türen öffnete.
Leto lernte durch seine Streifzüge und seine unstillbare Neugier viel mehr als in den offiziellen Seminaren, die von verschiedenen Dozenten abgehalten wurden. Im Geiste der Ermahnung seines Vaters, von allem zu lernen, bestieg er die automatischen Lifts, und wenn keine verfügbar waren, benutzte er Gänge, Frachtaufzüge oder gar Trittleitern, um von einem Stockwerk ins nächste zu gelangen.
Eines Morgens, als er ausgeruht und rastlos aufgewacht war, begab sich Leto in ein Atrium auf den höheren Etagen und trat auf einen Aussichtsbalkon hinaus. Obwohl es sich bei den Höhlen von Ix um isolierte unterirdische Räume handelte, waren sie so gewaltig, dass sich darin typische Luftströmungen bildeten. Natürlich war es ein schwacher Vergleich zu den Burgtürmen und windigen Klippen seiner Heimat. Er atmete tief durch und füllte seine Lungen, bis nichts mehr hineinging, doch hier roch die Luft stets nach Gesteinsstaub. Vielleicht bildete er es sich auch nur ein.
Leto streckte die Arme aus und blickte zur riesigen Höhle hinunter, in der sich der Gilde-Heighliner befunden hatte. Zwischen den Narben, die die Bauarbeiten hinterlassen hatten, und den Maschinen konnte er das wachsende Skelett eines neuen gigantischen Rumpfes erkennen, das von Teams aus Suboiden-Arbeitern mit Laserschweißgeräten montiert wurde. Er beobachtete, wie die Bewohner der untersten Stockwerke mit insektengleicher Effizienz arbeiteten.
Eine Frachtplattform trieb unmittelbar unter dem Balkon vorbei, während sie sich langsam auf die noch weit entfernte Baustelle zubewegte. Leto beugte sich über das Geländer und sah, dass die Plattform mit Rohmaterialien beladen war, die man aus der Planetenkruste gewonnen hatte.
Einer spontanen Eingebung folgend stieg er über die Einfassung des Geländers, holte tief Luft und sprang zwei Meter in die Tiefe, wo er auf einem Haufen aus Trägern und Platten landete, die für die Heighliner-Baustelle bestimmt waren. Er ging davon aus, dass er mithilfe seiner Biodaten-Karte und seiner Kenntnisse der städtischen Infrastruktur irgendwie den Rückweg zu den hängenden Gebäuden finden würde. Unterhalb der schwebenden Plattform saß ein Pilot in seiner Kanzel, der die Last nach unten dirigierte. Entweder hatte er nichts von seinem unerwartet zugestiegenen Passagier bemerkt, oder es war ihm gleichgültig.
Eine kühle Brise zerzauste Letos Haar, als er sich dem wärmeren Höhlenboden näherte. Er dachte an den Meereswind auf den Klippen Caladans und nahm einen weiteren tiefen Atemzug. Hier unter der gewaltigen Deckenwölbung verspürte er eine Freiheit, die ihn an die Küsten seiner Heimat erinnerte. Dieser Gedanke löste das Gefühl des Heimwehs nach den Meeren Caladans aus, nach den Geräuschen des dörflichen Marktplatzes, nach dem schallenden Gelächter seines Vaters und selbst nach der prüden Besorgnis seiner Mutter.
Er und Rhombur verbrachten viel zu viel Zeit im Innern der Gebäude von Ix, so dass Leto sich oft nach frischer Luft und kaltem Wind sehnte. Vielleicht würde er Rhombur bitten, ihn noch einmal auf einem Ausflug zur Oberfläche zu begleiten. Dort konnten sie gemeinsam die Wildnis durchstreifen und zum unendlichen Himmel aufblicken, und Leto konnte seine Muskeln strecken und richtiges Sonnenlicht auf dem Gesicht spüren – statt der holographischen Illusion, die auf die Höhlendecke projiziert wurde.
Der ixianische Prinz war zwar kein so guter Kämpfer wie Leto, aber er war auch nicht der typische verhätschelte Sohn vieler Großer Häuser. Er hatte durchaus eigene Interessen und war ein begeisterter Mineraliensammler. Rhombur war ein umgänglicher, großzügiger Mensch mit unerschütterlichem Optimismus, aber man tat gut daran, daraus keine falschen Schlüsse zu ziehen. Denn unter der weichen Hülle lag eine feste Entschlossenheit und der Wunsch, in allen Bereichen Bestes zu leisten.
In der gigantischen Fabrikationshalle standen Gerüste und Suspensorkräne für den neuen Heighliner bereit, dessen künftige Gestalt von holographischen Konstruktionsplänen angedeutet wurde, die flimmernd in der Luft hingen. Selbst
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