Dune - Frühe Chroniken 03 - Das Haus Corrino
diesmal sah sie nasses schwarzes Haar, eine kleine Stirn und weit aufgerissene, intelligente Augen. Sie dachte an ihren geliebten Herzog. Mein Baby muss am Leben bleiben.
»Jetzt verstehe ich die Unruhe der Weitergehenden Erinnerungen.« Aniruls Gesicht wurde zu einer Maske der hemmungslosen Wut, als sie Jessica anstarrte. »Sie wussten es, aber Lobia konnte es mir nicht mehr rechtzeitig sagen. Ich bin die Kwisatz-Mutter! Zahllose Schwestern haben seit Jahrtausenden an unserem Programm gearbeitet. Warum hast du unsere Zukunft zerstört?«
»Töten Sie ihn nicht! Bestrafen Sie mich für das, was ich getan habe, wenn es sein muss – aber nicht Letos Sohn!« Tränen liefen ihr über die Wangen.
Mohiam legte das Baby in Jessicas Arme, als wollte sie sich einer unangenehmen Last entledigen.
»Nimmt deinen verfluchten Sohn«, sagte sie mit eiskalter Stimme, »und bete, dass die Schwesternschaft deine Tat überlebt.«
103
Die Menschheit ist sich ihrer Sterblichkeit bewusst und fürchtet sich vor der genetischen Stagnation, aber sie weiß keinen Weg, der zur Erlösung führen könnte. Dies ist der Hauptzweck des Kwisatz-Haderach-Zuchtprogramms. Die Entwicklungsrichtung der Menschheit soll auf noch nie da gewesene Weise verändert werden.
Lady Anirul Corrino,
aus ihren privaten Tagebüchern
Vor dem imperialen Entbindungsraum stand ein Mann, der sich als Sardaukar-Wache verkleidet und seine saphofleckigen Lippen mit geschickt aufgetragenem Make-up abgedeckt hatte. Auf der Rückseite der Hose, die der schmächtige Mann trug, war knapp unterhalb der Uniformjacke ein kleiner Blutfleck zu erkennen. Aber er war so klein, dass er niemandem auffallen würde ...
Mit extrem geschärften Sinnen hatte Piter de Vries dem ursprünglichen Wachmann ein Messer in die linke Niere gestoßen, als dieser zu seinem Posten unterwegs gewesen war. Dann hatte er schnell gehandelt und sich seine Uniform angeeignet. Er war stolz auf seine Arbeit.
Innerhalb weniger Minuten hatte de Vries den Toten in einen leeren Raum gezerrt, die grau-schwarze Uniform übergestreift und die Blutflecken mithilfe von Enzymen beseitigt. Dann hatte er sich gesammelt und zum Entbindungsraum begeben.
Der Kollege des getöteten Wachmanns sah ihn skeptisch an. »Wo ist Dankers?«
»Keine Ahnung. Ich war dabei, die Löwen zu versorgen, als ich abgezogen wurde, um hier herumzustehen, während irgendeine Hofdame ihr Balg bekommt«, sagte de Vries mürrisch. »Man sagte mir nur, dass ich seinen Posten übernehmen soll.«
Der andere Wachmann brummte, als würde ihn das Thema gar nicht mehr interessieren. Gelangweilt überprüfte er den Sitz seines Zierdolchs und rückte den Schultergurt zurecht, an dem ein Neuroknüppel hing.
In einer Scheide unter seinem Jackenärmel hatte de Vries ein weiteres Messer verborgen. Außerdem spürte er die klebrige Feuchtigkeit des blutigen Hemds an seinem Rücken – und diese Empfindung gefiel ihm.
Dann hörten sie aus dem Raum einen plötzlichen Aufschrei, gefolgt von überraschten und zornigen Stimmen und dem Geheul eines Babys. De Vries und der Wachmann blickten sich an, und der Mentat hatte das untrügliche Gefühl drohender Gefahr. Vielleicht war die hübsche Mutter, die geheime Tochter des Barons, im Kindbett gestorben. Aber diese Möglichkeit war zu einfach und zu schön, um wahr zu sein. Jetzt hörte er nur das Gemurmel weiterer Gespräche ... und das schreiende Baby.
Mit Herzog Letos Kind eröffneten sich zahllose Gelegenheiten ... Niemand wusste, dass es der Enkel des Barons war. Vielleicht konnte de Vries das Baby als Geisel nehmen und Jessica zwingen, ihm als Liebessklavin zu dienen – um schließlich beide zu töten, bevor sie ihn langweilten. Eine Zeit lang hätte er bestimmt viel Spaß mit der Frau des Herzogs ...
Aber vielleicht war das Kind noch viel wertvoller als Jessica. Das Neugeborene war sowohl ein Atreides als auch ein Harkonnen. Es wäre wohl das Sicherste, das Balg nach Giedi Primus zu bringen, um es gemeinsam mit Feyd-Rautha aufzuziehen. Das wäre eine wunderbare Rache am Haus Atreides! Kam es vielleicht sogar als Harkonnen-Erbe infrage, falls sich Feyd als ebensolcher Trottel wie sein älterer Bruder Rabban erwies?
Je nachdem, wie er die Situation ausnutzte, konnte de Vries die Schwesternschaft, zwei Große Häuser und Jessica selbst unter Druck setzen. Und alles mit der Arbeit eines einzigen Tages.
Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, wenn er an die köstlichen Möglichkeiten
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